Ehrendoktorwürde für Benjamin FerenczEr warf einen Blick in die Hölle

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Ferencz war gerade mal 27 Jahre alt, als er als Chefankläger hochrangige SS-Offiziere wegen Mordes an Hunderttausenden Menschen vor Gericht brachte. 

Köln – Benjamin Ferencz, der letzte noch lebende Ankläger aus den Nürnberger NS-Kriegsverbrecher-Prozessen, ist von der Universität zu Köln mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet worden. In einer Feierstunde, die aufgrund der Corona-Pandemie online stattfand, hob Rektor Axel Freimuth Ferencz’ herausragende Verdienste um das internationale Strafrecht in Theorie und Praxis hervor. „Sie haben in einem Alter, in dem andere sich noch auf ihr Examen vorbereiten, eine Rolle in der Weltgeschichte und Weltpolitik gespielt“, sagte Freimuth.

Zu Ehren des 100-Jährigen, der durch seinen Sohn Don vertreten wurde, verfolgten auch der höchste deutsche Ankläger, Generalbundesanwalt Peter Frank, und Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, die Zeremonie.

Stipendium für Hochbegabte

Der im heute rumänischen Siebenbürgen geborene Ferencz, Sohn jüdischer Eltern, emigrierte im Alter von zehn Monaten mit seiner Familie in die Vereinigten Staaten und wuchs in dem für seine Kriminalität berüchtigten Viertel „Hell’s Kitchen“ im New Yorker Stadtteil Manhattan auf. Mit einem Stipendium für Hochbegabte schloss Ferencz 1943 in Harvard sein Jura-Studium ab.

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Als Soldat landete er 1944 bei der Invasion der Alliierten in der Normandie. Schon vor Kriegsende sollte er als Teil einer Spezialeinheit der US-Armee Beweise für Verbrechen der Nazis sammeln. „Unauslöschlich in mein Gedächtnis eingebrannt“ seien die Szenen bei der Befreiung der Konzentrationslager. „Ich habe einen Blick in die Hölle geworfen“, sagte Ferencz einmal.

In einer Videobotschaft an die Teilnehmer der Feierstunde in Köln sprach er von einem „Trauma“, das ihn zeitlebens verfolgt habe und bis heute sein unstillbares Verlangen nach Frieden, Recht und Gerechtigkeit nähre.

Kurz nach Kriegsende setzte Ferencz systematisch die Suche nach Dokumenten zur Planung und Durchführung der NS-Verbrechen fort. Seine Ermittlungen lagen der Anklage im Nürnberger Prozess gegen Nazi-Größen wie Hermann Göring oder Rudolf Heß mit zugrunde.

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1947 entdeckte ein Mitarbeiter in Berlin drei Leitz-Ordner mit „Ereignismeldungen“ der „Einsatzgruppen“ an der Ostfront. Ferencz erkannte die Brisanz dieser Akten: Hinter den betont harmlosen Bezeichnungen verbarg sich der Massenmord der SS-Spezialeinheiten an bis zu einer Million Menschen.

Mit 27 Jahren Chefankläger

Den „Einsatzgruppen-Prozess“ von 1947/48, den größten Mordprozess der Geschichte, stieß Ferencz selbst an und avancierte mit nur 27 Jahren zum US-Chefankläger. 22 Angeklagte wurden verurteilt, vier von ihnen zum Tod.

Ferencz hatte sie als „Anführer“ wegen ihres Rangs oder Bildungsgrads stellvertretend für insgesamt etwa 3000 SS-Männer ausgesucht. „Ich habe gelernt, dass jeder Krieg dazu führen kann, dass eigentlich anständige Menschen sich in Massenmörder verwandeln können.“ Dies vor Augen, ging es Ferencz in Nürnberg auch um einen juristischen Präzedenzfall, um eine „Anrufung des Rechts durch die Menschlichkeit“, wie er 2020 erklärte.

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Der Jurist im Jahr 2010 bei der Eröffnung des Memorium Nürnberger Prozesse.

Nach dem Ende des Prozesses widmete sich Ferencz mit unermüdlichem Eifer der Völkerverständigung und dem Aufbau eines internationalen Rechtsregimes. Seine Überzeugung als „revolutionärer“ Völkerrechtler: Krieg zur Durchsetzung politischer Ziele, auch von Staaten, müsse als Verbrechen geahndet werden. Die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag war somit auch eine Krönung seines Lebenswerks.

Im ersten Verfahren durfte Ferencz 2009 symbolisch das Eröffnungsplädoyer der Anklage und 2012 ehrenhalber auch das Schlussplädoyer halten. Mit Blick auf die Ablehnung des Tribunals durch die USA nannte es der Völkerrechtler Stephan Hobe in seiner Laudatio auf Ferencz eine „anhaltende Tragödie, dass Ihr eigenes Land so viele Schwierigkeiten mit dem Internationalen Strafgerichtshof hat und sich bis heute nicht getraut hat, das Statut zu ratifizieren“.

In seiner Video-Adresse rief Ferencz die junge Generation auf, sich von fortwährenden Kriegen, täglichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Schwäche des internationalen Rechts bei der Durchsetzung gegen Machtinteressen der Nationalstaaten „nicht unterkriegen“ zu lassen. „Das ist die Welt, in der wir leben. Sie ist ein noch nicht bestellter Hof.“ Er habe das Seine getan.

Niemals aufgeben

„Mit meinen fast 101 Jahren hänge ich immer noch drin. Kommt schon, übernehmt ihr es! Ihr seid jetzt dran! Es ist nicht nur eure Runde, es ist euer Leben!“ Und Ferencz fügte sein Lebensmotto hinzu: „Never give up!“ – „Niemals aufgeben!“

Der Völkerstrafrechtler Claus Kreß, der Ferencz einen „väterlichen Freund und Lehrer“ nannte, ordnete die Ehrendoktorwürde auch in eine Schuldgeschichte der Kölner Universität ein. Er erinnerte daran, dass die Nationalsozialisten den großen Rechtstheoretiker, Verfassungs- und Völkerrechtler Hans Kelsen (1881 bis 1973) seiner jüdischen Herkunft wegen von der Uni vertrieben hatten.

Die damalige Juristenfakultät protestierte, bis auf Carl Schmitt (1888 bis 1985). Auf dessen Arbeiten stützte sich das NS-Regime in vielerlei Hinsicht, und Schmitt dürfte in den Nürnberger Prozessen auch die Linie der Verteidigung durch den Völkerrechtler Hermann Jahrreiß (1894 bis 1992) inspiriert haben, den Nachfolger Kelsens in Köln und späteren Rektor der Uni.

Die Verteidigung eines Mannes wie des Wehrmacht-Generals Alfred Jodl (1890 bis 1946) übernommen zu haben sei rechtsstaatlich nicht zu beanstanden, betonte Kreß, um hinzufügen: „Aber sollte Jahrreiß’ späteres Rektorenamt das letzte Zeichen der öffentlichen Sichtbarkeit Kölns im Zusammenhang mit Nürnberg bleiben?“

Ferencz’ Ehrung durch die Uni setze nun einen anderen leuchtenden Akzent, der auch Hans Kelsen einschließe. Denn ihm verdanke Ferencz ganz wesentlich die eigenen völkerrechtlichen Grundpositionen.

Ferencz habe „mit seinem lebenslangen Engagement für die internationale Justiz ein großartiges Beispiel für den Erhalt der internationalen Gerechtigkeit gegeben“, sagte Hobe und fügte hinzu: „Sie sind auch mein persönlicher Held. Sie haben viel, viel mehr erreicht, als die meisten Menschen und vor allem Juraprofessoren in einem Leben erreichen können. Wir verneigen uns vor Ihnen.“

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