Interview mit Jost DülfferHistoriker spricht über „Organisation Gehlen“ und den BND

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Reinhard Gehlen (l.) in Zürich Ende der 1940er-Jahre

Reinhard Gehlen (l.) in Zürich Ende der 1940er-Jahre

Professor Dülffer, für die Aufarbeitung der Nachkriegsgeschichte deutscher Institutionen war und ist stets die Frage struktureller und personeller Kontinuitäten zur NS-Zeit leitend. Was haben Sie darüber beim Bundesnachrichtendienst (BND) herausgefunden?

Dass Mitarbeiter des BND in großer Zahl Biografien mit NS-Belastung hatten, ist für den Historiker nicht so erstaunlich. Wo hätten die Leute denn sonst herkommen sollen? Da gab es in den bundesdeutschen Behörden insgesamt nur graduelle Unterschiede, und wie der BND sich auch aus dem NS-Verfolgungsapparat rekrutierte, wird von anderen Studien unseres Projektes näher erforscht.

Spannend finde ich darüber hinaus die Frage, wie sich der nach seinem Gründungspräsidenten Reinhard Gehlen als „Organisation Gehlen“ bezeichnete Dienst bis zum Ende der 1960er Jahre in einer sich erst findenden demokratischen Gesellschaft als Institution am Rand, ja auch jenseits der Legalität behaupten konnte.

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Wie gelang dem BND das?

Im Mantel des Geheimnisumwitterten und der vorgeblichen Notwendigkeit einer Gefahrenabwehr für den Staat verstand es Gehlen, einen Prozess der Demokratisierung seines Dienstes über Jahre aktiv zu behindern. Bis Anfang der 60er Jahre hatte der BND zudem Rückendeckung durch das Kanzleramt. Konrad Adenauer sah in der Organisation Gehlen ein Instrument zu seiner Herrschaftssicherung.

Zur Person

Jost Dülffer, geboren 1943, ist emeritierter Professor für Neuere Geschichte an der Universität zu Köln. Er ist – zusammen mit Klaus-Dietmar Henke, Wolfgang Krieger und Rolf-Dieter Müller – Mitglied der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes von 1945 bis 1968.

In dieser Funktion hat Dülffer 2018 den Band 8 „Geheimdienst in der Krise: Der BND in den 1960er-Jahren“, Ch. Links Verlag, 672 Seiten, 50 Euro vorgelegt. (jf)

Bis 1961/62 war der BND dem Kanzleramt nur lose „angegliedert“. Das sollte sich dann nach einem der letzten Kabinettsbeschlüsse unter Adenauer 1963 ändern, der den BND als eine anständige Behörde dem Kanzleramt unterstellte. Gehlen aber hat es dann bis zu seiner Ablösung 1968 geschafft, dieses Ansinnen zu unterlaufen und zu torpedieren.

Wie kam es zu Adenauers Stimmungsumschwung gegenüber dem BND?

Auch der Kanzler hatte mitbekommen, dass im BND sehr viele Schaumschläger und Wichtigtuer unterwegs waren. Zudem war er persönlich skeptisch wegen der NS-Belastungen von BND-Leuten. Zum eigentlichen Bruch aber kam es 1961/62. Da verlor Adenauer völlig das Vertrauen in den Dienst. Zunächst wurde der Leiter der Gegenspionage, Heinz Felfe, ein alter Nazi, als sowjetischer Spion enttarnt. 1962 spitzte sich die Krise des BND dann durch die „Spiegel-Affäre“ weiter zu.

Im Bundestag fiel Adenauers berühmtes Wort von einem „Abgrund von Landesverrat“.

Es ging um die Frage, woher der „Spiegel“ seine Exklusiv-Informationen über den miserablen Zustand der Bundeswehr hatte. Der Verdacht fiel auf einen gewissen Oberst Wicht, den Hamburger Residenten des BND. Der war zwar nicht der Informant, aber Adenauers Misstrauen ging inzwischen so weit, dass er davor stand, Gehlen verhaften zu lassen. Er bestellte ihn zu einem persönlichen Verhör ins Kanzleramt, weil er sich von ihm belogen wähnte. Die Aktennotiz darüber habe ich bei meinen Recherchen gefunden. Sie ist in jeglicher Hinsicht ein Dokument der Zerrüttung.

Wie konnte Gehlen sich dann trotzdem an der Spitze des BND halten?

Nun, Gehlen war ein Charmeur und ein begnadeter Selbstdarsteller. In der Öffentlichkeit hatte er den Nimbus von „unserem Mann mit dem Schlapphut und dem umfassenden Geheimwissen“. Das hatte Gehlen einer ausgeklügelten und ausgesprochen erfolgreichen Beeinflussung der seriösen Medien zu verdanken.

Wie ging die vor sich?

Gehlen hatte eine Reihe von „Spezis“, Journalisten seines Vertrauens, denen er von Zeit zu Zeit vermeintliche Sensationsgeschichten zur Veröffentlichung lieferte.

Im Gegenzug standen dann Elogen über den BND und seinen Chef in den Blättern. Auf diesem Geben und Nehmen gründete Gehlens Ruf ganz wesentlich. Das betraf natürlich in erster Linie die konservative Presse, allen voran den Springer-Verlag, bei dem der von Gehlen propagierte Antikommunismus zur publizistischen DNA gehörte. Aber auch in den liberalen und linken Medien hatte Gehlen seine Fans. Der vielleicht interessanteste Fall der Medienbeeinflussung spielte aber beim WDR.

Nämlich?

Dort gab es in den 60er-Jahren beim Hörfunk einen Hauptabteilungsleiter Politik namens August Hoppe mit stramm konservativ-reaktionären Überzeugungen. Er beobachtete mit Abscheu die „linken Machenschaften“ im Sender, berichtete darüber gegen Bezahlung an den BND und bestückte auch einen Informationsdienst namens „Roter Brief“.

Hoppe war einer der wichtigsten Strippenzieher für den BND im Dienste der öffentlichen „Aufklärung“ über den vermeintlichen linken, kommunistischen oder wenigstens kommunistenfreundlichen „Mainstream“ der deutschen Medien und die damit verbundenen Gefahren für die Republik. Mit den Jahren zog dieser aggressive Antikommunismus dann nicht mehr so. Das alles hatte aber nichts mit der eigentlichen Aufgabe, der Auslandsaufklärung, zu tun.

War der BND mithin eine Art Staat im Staat?

Gehlen ließ sich jedenfalls von dem Anspruch leiten, eine Art para-staatliches Unternehmen neben dem Staat zu sein, das dessen vermeintliche Interessen nach innen wie nach außen wahrnahm – im Rahmen eines zwar nicht mehr diktatorischen Staatsverständnisses wie im Nationalsozialismus, aber doch noch mit einem sehr autoritären Begriff vom Staat.

Und die Frage einer rechtsstaatlichen Aufsicht?

Eine parlamentarische Kontrolle oder Aufsicht fand zur Zeit Adenauers eigentlich nicht statt. Ihm schwebte die Begleitung der geheimdienstlichen Arbeit durch ein Gremium von den Fraktionsspitzen, Honoratioren also mehr oder weniger, vor. Das klappte natürlich nicht – weder zur Zeit Adenauers noch danach.

Ist die Konstruktion von Geheimdiensten in einer offenen Gesellschaft nicht ein Widerspruch in sich?

In gewissem Maße ist das Spannungsverhältnis von Geheimhaltung und Transparenz in der Tat unauflösbar. Das muss gerade in einer Demokratie immer wieder kontrolliert und neu ausgehandelt werden. Einen völlig transparenten Geheimdienst können Sie gleich in die Tonne treten. Aber im Spannungsverhältnis des Legalen und Legitimen muss ein Geheimdienst auch seinerseits im Rahmen von Recht und Gesetz agieren. Und er darf auch nicht jenseits der Grenzen seines eigentlichen Auftrags arbeiten.

Das war doch das Hauptproblem beim BND: Es wurden ständig gerade innenpolitisch Dinge gemacht, für die der Dienst nicht zuständig war. Pointiert würde ich sagen: Geheimdienste können ihre Grenzen in der Demokratie erkennen – was man tun darf und was nicht, wen man bespitzeln darf und wen nicht und dazu ist neben der Öffentlichkeit auch parlamentarische Kontrolle nötig. Noch in den 60er-Jahren aber war der BND – natürlich auch in der Folge vormaliger NS-Verstrickungen – dazu weder fähig noch willens.

Vorgänge wie der NSA-Skandal lassen den Schluss zu, dass sich daran wenig geändert hat.

Da kann ich Ihnen nicht widersprechen. Insofern war es von der Bundeskanzlerin naiv zu sagen, „Abhören unter Freunden, das geht gar nicht“. Und sich darüber aufzuregen, dass es trotzdem passiert ist, war es erst recht. So machen’s halt alle. Das neue BND-Gesetz versucht immerhin, Grenzüberschreitung zu verhindern und rechtsstaatlich zu fassen. Unter dem Vorwand der Sicherheit sehen sich Geheimdienste ja immer gern dazu berechtigt, alles zu tun, was geht; es darf halt nur nicht auffallen.

Das war bis 1968 durchgängig die Mentalität auch im BND. Danach hat sich zumindest ein Bewusstsein für Grenzen des Zulässigen gebildet. Wie weit das aber trägt? Schwer zu sagen. Der 2016 geschasste BND-Präsident Gerhard Schindler hat dazu auch öffentlich gestanden, dass er es nicht geschafft habe, den eigenen Laden gerade in Abhörfragen in den Griff zu bekommen.

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