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Interview

Carsten Linnemann
„Life-Life-Balance produziert keinen Wohlstand“

Lesezeit 5 Minuten
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. (Archivfoto)

Carsten Linnemann appelliert an die Bürger, sich für Deutschland einzusetzen. Die Regierung sieht er in großer Verantwortung.

Carsten Linnemann hätte Bundesminister werden können. Doch sein favorisiertes Ressort, das Arbeitsministerium, ging an die SPD. Wir treffen ihn in seinem Büro im Konrad-Adenauer-Haus. Von da aus kann er sich jetzt gut in alle Themen einmischen.

Herr Linnemann, Bundeskanzler Friedrich Merz wird wegen seiner vielen Auslandsreisen schon als „Außenkanzler“ bezeichnet. Nun sollen die Menschen aber im Inland bis zum Sommer eine Wende zum Besseren merken. Wodurch genau?

Zuallererst, indem wir in der Koalition nicht öffentlich streiten. Friedrich Merz hat in der Partei gezeigt, dass er führen kann. Er wird auch dafür sorgen, dass diese Koalition an einem Strang zieht - und zwar in dieselbe Richtung. Im Kabinett sitzen auch keine Streithähne, sondern Menschen, die wissen, wie es um Deutschland bestellt ist. Die Verantwortung war nie so groß wie jetzt.

Wie ist es um Deutschland bestellt?

Deutschland steckt seit einigen Jahren in einer strukturellen Wachstumskrise. Wirtschaftlich müssen wir jetzt dringend die Kurve kriegen. Den hohen Zuspruch für die AfD in den ostdeutschen Bundesländern sehe ich da als Vorboten, auch mit Blick auf die Entwicklung im Westen. Diese Partei lässt bei jedem koalitionsinternen Streit, jeder Konjunkturdelle, jeder schlechten Nachricht die Sektkorken knallen. Die Polarisierung im Land ist gefährlich, aber wir werden gegensteuern.

„Die Verantwortung war nie so groß wie jetzt“

Was muss dann außer Koalitionsharmonie bis zum Sommer geschehen?

Wir werden Pflöcke für den politischen Kurswechsel einrammen. Innenminister Alexander Dobrindt hat damit im Migrationsbereich bereits angefangen. An unseren Grenzen wird verstärkt kontrolliert und auch zurückgewiesen. Weitere Maßnahmen wie die Aussetzung des Familiennachzugs von subsidiär Schutzberechtigten werden schnell folgen. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche hat bereits die Senkung der Energiekosten angekündigt. Netzentgelte und Stromsteuer müssen runter. Alle Verbraucher sollen dauerhaft mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde weniger zahlen müssen. Die Abschaffung des nationalen Lieferkettengesetzes muss jetzt schnell angegangen werden, um die Unternehmen von Bürokratie zu entlasten. Wir müssen den deutschen Mittelstand schleunigst wieder flottkriegen. Wachstum ist die Grundlage dafür, dass wir die Vorhaben finanzieren können und diese Regierung erfolgreich ist.

Im Koalitionsvertrag steht, dass die Schuldenbreme bereits bis Ende des Jahres reformiert werden soll: Schaffen Sie das in so kurzer Zeit?

Entscheidend ist: Über den im Februar gefassten Beschluss zur Lockerung der Schuldenbremse können wir uns bereits für Verteidigung und Sicherheit des Landes verschulden. What ever it takes, würde Friedrich Merz sagen. Wir müssen schauen, was bei der Kommission zur Reform der Schuldenbremse herumkommt. Auf dieser Grundlage wird es dann Handlungsempfehlungen geben, auch im Lichte unserer Verantwortung bei der Einhaltung der Maastrichter Verträge und für den Euro. Viel wichtiger ist aber, dass wir bis zum Sommer die Grundlagen für die Migrationswende und zur Ankurbelung der Wirtschaft in den Bundestag einbringen. Diese Signale müssen wir senden.

06.05.2025, Berlin: Carsten Linnemann (M), Generalsekretär der CDU, gratuliert dem neu gewählten Bundeskanzler Friedrich Merz (r, CDU) im Bundestag nach dem zweiten Durchgang der Kanzlerwahl. Merz ist im zweiten Anlauf im Bundestag zum zehnten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt worden. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Carsten Linnemann gratuliert dem neu gewählten Bundeskanzler Friedrich Merz im Bundestag nach dem zweiten Durchgang der Kanzlerwahl. (Archivfoto)

Der Kanzler hat mit Polen, Frankreich, Großbritannien und der Ukraine Putin zum Waffenstillstand aufgefordert und andernfalls sofortige neue Sanktionen angekündigt. Aber nichts ist passiert. Aber es wird von einem Zusammenrücken Europas gesprochen. Können Signale Politik ersetzen?

Interessante Frage. Nicht ersetzen, aber ergänzen. Sichtbar machen. Nehmen Sie als Beispiel, dass wir fast die Hälfte der Beauftragten der Regierung abgeschafft haben. Das ist noch nicht der große Wurf, aber die Bevölkerung sieht, wir fangen endlich bei uns selbst an. Das Zusammenrücken Europas ist aber nicht nur ein Signal, sondern die Voraussetzung für europäischen Erfolg. Das war doch seit Jahren nicht der Fall.

Noch ein anderes Signal: Deutschland ist nach einer jüngsten Studie im internationalen Vergleich der geleisteten Arbeitsstunden abgerutscht. Haben wir zu viel Work-Life-Balance?

Work-Life-Balance ist nichts Verwerfliches. Aber man hat manchmal den Eindruck, dass es nicht mehr um Work-Life-Balance geht, sondern um Life-Life-Balance. Unser Wohlstand, unsere sozialen Sicherungssysteme, aber auch die Funktionsfähigkeit unseres Landes beruhen darauf, dass wir produktiv sind. Und diese Produktivität gilt es zu stärken. Über Anreize wie die Aktivrente oder eine Verbesserung der Rahmenbedingungen wie die Flexibilisierung der Wochenarbeitszeit. Letzteres ist vor allem für Familien mit Kindern oder mit pflegebedürftigen Familienangehörigen von Bedeutung – da haben wir einen Rückstand aufzuholen. Und für junge Menschen gilt: Es ist wichtig, erstmal eine Ausbildung zu machen und einen Beruf zu erlernen. Da müssen wir wieder hinkommen: Sich etwas selbst zu erarbeiten.

Zur Migrationswende: Können Sie in einfachen Worten erklären, auf welcher Rechtsgrundlage Bundesinnenminister Alexander Dobrindt die Grenzkontrollen verschärft hat und Geflüchtete zurückweisen lässt?

Also, mir sagt das der gesunde Menschenverstand, dass ein Staat wissen muss, wer ins Land kommt. Und deshalb müssen wir unsere Grenzen kontrollieren. Flüchtlinge können sich Deutschland nicht einfach als Ziel aussuchen. Sie müssen ihre Verfahren in den Staaten durchlaufen, in denen sie zuerst angekommen sind. Das ist geltendes EU-Recht.

Fehlen jetzt nicht Bundespolizisten an Bahnhöfen?

Da vertraue ich auf den Innenminister und die Experten, die ihn beraten.

Wenn EU-Binnengrenzen verschärft kontrolliert werden, verzögern sich Warenlieferungen. Die Wirtschaft leidet.

Noch schädlicher ist es, wenn wir die Kontrolle über die Zuwanderung verlieren. Bürgermeister und Landräte sagen mir, dass sie am Limit seien – etwa bei Kitas oder bei der Gesundheitsversorgung. Das ist auch ein schlechtes Signal an Fachkräfte aus dem Ausland. Warum sollen die nach Deutschland kommen wollen, wenn hier die Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen. Es ist also durchaus im Eigeninteresse der Wirtschaft, dass wir die Migration steuern.

ARCHIV - 28.04.2025, Berlin: Carsten Linnemann, CDU-Generalsekretär, spricht beim Bundesausschuss der CDU. (zu dpa: «Linnemann: «Wollen nicht die wöchentliche Arbeitszeit ausweiten»») Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Carsten Linnemann spricht beim Bundesausschuss der CDU. (Archivfoto)

Wie würde es Ihrer Ansicht im Bestfall nach laufen?

Unser Ziel muss es bleiben, Abkommen mit sicheren Drittstaaten über die Aufnahme und den Schutz von Flüchtlingen, aber auch über wirtschaftliche Kooperationen zu schließen. Und dann würden wir Kontingente aufnehmen, bei denen das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen eine Vorprüfung vorgenommen hat. Da geht es um Menschen, die wirklich Schutz brauchen. Ich möchte, dass Deutschland ein weltoffenes Land bleibt. Das geht aber nur, wenn wir die Flüchtlingszuwanderung steuern und unsere Gesellschaft nicht überfordern.

„Das müssen wir unterbinden“

Sind Attentate wie das mutmaßliche Messerattentat des Syrers in Bielefeld zu verhindern?

Hundertprozentige Sicherheit gibt es natürlich nie. Aber die Gewaltbereitschaft hat in einer Weise zugenommen, die wirklich besorgniserregend ist. Und dass dieser Anstieg auch etwas mit dem Zuzug von jungen, männlichen Migranten aus Ländern mit patriarchalischen Strukturen zu tun hat, ist offenkundig. Diese Männer bringen häufig Gewalterfahrungen mit und leider auch die Neigung, ein Messer als Ausdruck von Männlichkeit mit sich herumzutragen. In meiner Jugend gab es dieses Phänomen nicht, dass jemand mit einem Messer um sich gestochen hat. Das müssen wir unterbinden. Alles andere wäre eine Kapitulation.

Zur Aufarbeitung des Wahlergebnisses: Gibt es erste Erkenntnisse, woran es lag, dass die Union nicht besser abgeschnitten hat?

Sie können sich vorstellen, dass diese Frage mich auch sehr beschäftigt. Wir arbeiten den Wahlkampf gerade selbstkritisch auf, werden ihn breit angelegt evaluieren. Ich will, dass wir uns genau anschauen, was gut und was schlecht gelaufen ist und dass wir aus möglichen Fehlern lernen. (rnd)