Kölner Infektiologe Gerd Fätkenheuer„Die Zahlen werden weiter steigen – das ist klar“

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Der Kölner Forscher Gerd Fätkenheuer erklärt, welche Zahlen und Wert berücksichtigt werden sollten neben dem Inzidenzwert.

  • Für die Beurteilung des Pandemiegeschehens muss eine ganze Palette von Indikatoren berücksichtigt werden, nicht nur der Inzidenzwert.
  • Warum das so ist, erklärt der Kölner Infektiologe Gerd Fätkenheuer in diesem Beitrag ausführlich.
  • Sein Kollege Oliver Cornely, Leiter des Zentrums für Klinische Studien in Köln, nennt die aktuelle Entwicklung „erschreckend“.

Köln – Die suggestive Macht der Zahlen kennt auch ein nüchterner, besonnener Wissenschaftler wie Professor Gerd Fätkenheuer. „Wenn ich am Morgen – wie in dieser Woche – von mehr als 11 000 registrierten Corona-Neuinfektionen in Deutschland an einem einzigen Tag höre, dann bestimmt das natürlich die Wahrnehmung“, sagt der Leiter der Infektiologie an der Uniklinik Köln. Psychologisch sei die Infektionszahl deshalb von besonderer Bedeutung.

Sie ist aber, zusammen mit der „Inzidenz“, der Zahl der Neuinfizierten pro 100 000 Einwohner, auch ein wichtiger Indikator für die Dynamik des Infektionsgeschehens. Den Kliniken erlaubt sie „einen kleinen Blick in die Zukunft“, sagt Fätkenheuers Kollege Oliver Cornely, Leiter des Zentrums für Klinische Studien. „Man kann hochrechnen, wie viele der Neuinfizierten krank und schwer krank werden, wie viele einen Platz in der Klinik brauchen werden.“

Cornely nennt die aktuelle Entwicklung „erschreckend“ und unterlegt diese Einschätzung mit einem anderen Wert: Trotz einer konstanten Zahl von gut 1,1 Millionen Corona-Tests pro Woche steige derzeit der Anteil der positiven Ergebnisse. In Köln hat sie sich mit zuletzt fast zwei Prozent annähernd verdoppelt. „Ich rechne fest damit, dass die Krankenhäuser bald voller sein werden, als sie es im März gewesen sind.“

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In einem Vergleich mit der ersten Corona-Welle im Frühjahr lasse sich aus heutiger Sicht schließen, dass es auch damals schon wesentlich mehr Infizierte gab, als die Zahlen das hergaben, erläutert Fätkenheuer. „Der Anteil derjenigen, die damals an Covid-19 erkrankt waren und stationär behandelt werden mussten, war viel größer als heute. Getestet wurden seinerzeit vor allem Menschen, die erste Erkrankungssymptome aufwiesen. Wir hatten es demnach mit einer höheren Dunkelziffer zu tun. Heute diagnostizieren wir sehr viel mehr asymptomatische oder leichte Fälle. Das Virus hat sich aber nicht verändert, sondern die Art der Testung.“

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Umgekehrt, so Fätkenheuer weiter, könne man sagen: „Trotz steigender Infektionszahlen gibt es heute noch nicht mehr Fälle mit schwerem Krankheitsverlauf als in der ersten Welle. Aber ich betone: noch! Wenn die Infektionszahlen weiter so rasant steigen, wird sich das zwangsläufig ändern. Das ist eine Frage der Statistik.“

Um die Entwicklung hinsichtlich ihrer Dramatik richtig einschätzen zu können, „brauchen wir letztendlich eine ganze Palette von Kriterien“, erklärt Fätkenheuer. „Mit den Neuinfektionen ist über die Zahl der Erkrankungen, die betroffenen Personengruppen und die Schwere der Krankheitsverläufe nichts gesagt“. Mit diesen Parametern verbinde sich aber „die eigentliche Gefahr für die Gesellschaft“.

Auch Sterbezahlen von Bedeutung

Deshalb sind auch die Sterbezahlen von Bedeutung. Sie lägen derzeit unter der typischen „Infektionsmortalität“, die bei Corona zwischen 0,5 und einem Prozent anzusetzen ist. Das heißt, von 200 mit dem Coronavirus Infizierten sterben ein bis zwei Patienten. Man müsse aber, so Fätkenheuer, die Phasenverschiebung zwischen Infektion und späterem Tod berücksichtigen. Bis Infizierte mit einer Covid-Erkrankung in eine kritische Phase kommen, dauert es in der Regel zwei bis drei Wochen. Bis zum Tod können nach Angaben des Experten dann noch einmal mehrere Wochen vergehen. „Die absoluten Zahlen werden steigen. Das ist völlig klar.“

Wichtig sei nicht zuletzt ein Blick auf den R-Wert. Er gibt an, wie viele andere ein Infizierter ansteckt. Die Berechnung sei zwar kompliziert, der R-Wert selbst aber sehr anschaulich – zumal in einer Phase, in der die Infektionszahlen stark steigen. „Solange der R-Wert über 1,0 liegt, wissen wir: Wir haben die Sache nicht im Griff.“

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