NRW vor der LandtagswahlAfD-Landeschef will neuen Kurs einschlagen

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Der neu gewählte Landesvorsitzende der NRW-AfD, Martin Vincentz (M), im Februar 2022 mit seinem Vorgänger Rüdiger Lucassen (l.) und Bundessprecher Tino Chrupalla.

Düsseldorf – Um große Worte ist das Spitzenpersonal der AfD in Nordrhein-Westfalen nie verlegen. Man werde „eine ehrliche, klare Opposition“ sein und „den Finger in die Wunde legen, so wie die das noch gar nicht kennen. Das wird unangenehm für Armin Laschet“, tönte NRW-Spitzenkandidat und Landeschef Marcus Pretzell am Abend der Landtagswahl im Mai 2017.

Fünf Jahre später, im Februar 2022, kündigt der vor kurzem gewählte neue Landeschef Martin Vincentz auf dem Landesparteitag in Siegen an, die AfD zur Volkspartei machen zu wollen.

„30, 40 Prozent der Menschen stehen doch hinter unseren Inhalten, vielleicht sind sie von anderen Dingen bei uns abgeschreckt“, ruft der stellvertretende Fraktionschef der rechtsextremen Partei im Düsseldorfer Landtag den Delegierten zu, die ihm mit 63,03 Prozent einen für AfD-Verhältnisse starken Rückhalt verschafft haben.

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Fraktionsinterner Streit, Skandale und Richtungskämpfe

Doch wo und wofür steht die AfD in NRW nach fünf Jahren Opposition im Landtag, in den sie mit 7,4 Prozent der Stimmen und 16 Abgeordneten eingezogen war? Die Antwort ist zunächst: Für fraktionsinternen Streit, Richtungskämpfe und ein paar handfeste Skandale.

Schon im Herbst 2017 schmeißt Fraktions- und Landeschef Marcus Pretzell, als Ehemann von Frauke Petry eines der prominenten Gesichter der AfD, gemeinsam mit zwei weiteren Abgeordneten die Brocken hin. Pretzells Abgang ist das Eingeständnis seines Scheiterns, der Fraktion einen bürgerlichen Anstrich zu verpassen.

Reisen auf die von Russland annektierte Krim und nach Syrien

Was folgt, sind vor allem gezielte Provokationen, mit denen die verbliebenen 13 AfD-Abgeordneten auch außerhalb des Parlaments Aufmerksamkeit erregen wollen. Anfang März 2018 reist eine Gruppe unter Führung von Christian Blex nach Syrien und trifft sich dort mit Ahmad Hassun, dem Großmufti der Syrisch-Arabischen Republik, der 2011 damit gedroht hatte, Selbstmordattentäter nach Europa zu schicken und 2014 zur Unterstützung von Al-Kaida im Irak aufgerufen hatte. Angebliches Ziel der Reise: Die AfD wolle erreichen, dass Syrien als sicheres Herkunftsland eingestuft wird.

Einen Monat zuvor, im Februar 2018, waren vier der Rechtspopulisten aus NRW auf die 2014 von Russland völkerrechtswidrig annektierte ukrainische Halbinsel Krim gereist. Der AfD-Fraktionsvize Sven Tritschler wollte sich von der Reise seiner Parteifreunde nicht distanzieren. Persönliche Besuche seien „eindeutig der beste Weg“, sich ein objektives Bild zu verschaffen.

Es folgt der Skandal um ein Malbuch, das die Fraktion mit dem Titel „Nordrhein-Westfalen zum Ausmalen“ produziert und bei Diskussionen mit Bürgern verteilt hatte. Die AfD-Fraktion im Landtag wehrte sich zunächst gegen die Kritik, einige Zeichnungen seien rassistisch, berief sich auf die „Kunst- und Satirefreiheit", um es dann doch aus dem Verkehr zu ziehen.

Falsche Bergleute demonstrieren im Landtag

Im Sommer 2019 sorgen rund 100 Männer in Bergmannskleidung auf Einladung der AfD-Fraktion im Parlament für lautstarke Proteste, so dass die Sitzung unterbrochen werden muss. Die Fraktion filmt die Szene und stellt sie ins Internet. Einige der augenscheinlichen Bergleute räumen später ein, dass sie in Wahrheit nie unter Tage gearbeitet haben.

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Wohl auch falsche Bergleute protestieren im Juli 2019 im Landtag, nachdem der Ordnungsdienst die Besuchertribüne geräumt hat.

Mit politischer Sacharbeit ist die AfD-Fraktion in den vergangenen fünf Jahren kaum in Erscheinung getreten. Auffällig ist: Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie nutzen die Abgeordneten nahezu jeden ihrer Auftritte im Parlament, um jedwedes Thema irgendwie auf Migranten und Flüchtlinge zu drehen.

Das gilt auch für die Flut von Anfragen, die sich allein im ersten Landtagsjahr auf knapp 300 summieren. Auch Corona („Kontrolliert die Grenzen – nicht den Impfstatus“) muss dafür herhalten, gegen Migranten Stimmung zu machen. Bei den Kommunalwahlen im September 2020 landet sie NRW-weit gerade mal bei 5,1 Prozent, bei der Bundestagswahl im Herbst 2021 bleibt sie mit 10,3 Prozent ebenfalls deutlich hinter den Erwartungen zurück.

Der Wiedereinzug in den Landtag scheint nach der NRW-Wahl am 15. Mai allerdings nicht gefährdet. Umfragen zufolge liegt die rechte Partei derzeit bei rund sieben Prozent.

Neuer Landeschef muss Flügelkämpfe beenden

Auf Bundesebene hat der Landesverband NRW trotz seiner nach eigenen Angaben 5000 Mitglieder keine große Bedeutung, was vor allem an den Dauerquerelen und an Parteitagen liegt, die regelmäßig mit Flügelkämpfen im Chaos endeten.

Kann die neue Führungsfigur Martin Vincentz, der als gemäßigt gilt, das ändern? „Er gehört zu den AfD-Politikern, die es geschickt verstehen, die Tonlage zu dimmen. Er weiß, dass er mit Sozialpopulismus oder völkischer Agitation in NRW-Städten wie Aachen, Köln oder Münster kaum punkten kann“, sagt der Kölner Politikwissenschaftler und AfD-Experte Richard Gebhardt.

Die NRW-AfD brauche eine Konsensfigur, um den lange zerstrittenen Landesverband handlungsfähig zu halten. „Deshalb sucht er auf der Straße auch das Bündnis mit jenen, denen noch der gescheiterte Ex-Vorsitzende Jörg Meuthen Schwierigkeiten mit dem Geradeausdenken attestierte“, so Gebhardt. „Zudem führt er eine Kandidatenliste, die mit Blex, Clemens oder Röckemann einschlägige Namen aufführt.“ 

Nur zwei Frauen auf der Landesliste zur Wahl

Christian Blex (Listenplatz 5) gehört zu den ehemals führenden Figuren des völkisch-nationalistischen Flügels, der ehemalige Landeschef Thomas Röckemann folgt erst auf Listenplatz 13. Von den 23 Listenplätzen sind nur zwei mit Frauen besetzt.

Das Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts vom März, nach dem das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als sogenannten Verdachtsfall einstufen darf, sei vor allem für das bürgerliche Milieu in der Partei und jene, die im Staatdienst stehen, ein Problem.

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Der Politikwissenschaftler Gebhardt geht davon aus, dass die AfD bei der Landtagswahl im Mai schwächer abschneiden wird als vor fünf Jahren. Sie könne derzeit ihre Wähler nicht richtig mobilisieren. „Vom Corona-Thema profitiert sie offenkundig seit 2021 kaum. Die derzeitigen Fluchtbewegungen kann sie nicht skandalisieren. Möglich ist nur eine diskriminierende Deutung, die ‚echte‘ von ‚falschen‘ Flüchtlingen trennt. Als hätte es in Afghanistan, Syrien oder im Irak keine Kriege gegeben.“

Wissenschaftler: „Die AfD wird für ihre Parolen gewählt"

Die Wahl im Saarland habe gezeigt, dass es in der Bundesrepublik „ein relativ stabiles Milieu gibt, das zu einer Partei wie der AfD drängt - ohne Rücksicht auf einfachste Qualitätsmaßstäbe“.

Die AfD werde „für ihre Parolen und Proteste, weniger für ihr Programm gewählt. Auch in NRW haben sich Teile der Öffentlichkeit - das Wutbürgertum ebenso wie jene Schichten, die für Sozialpopulismus anfällig sind - vom offiziellen Diskurs abgewendet. Auf diesen Kern kann die AfD trotz ihrer aktuellen Schwäche weiter setzen“, so der Politikwissenschaftler.

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