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Milliarden-Loch bei Autobahnen40 Ausbauprojekte in NRW stehen auf der Kippe

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Lärmschutzwand Autobahn 1-Baustelle Leverkusen West. Bild: Ralf Krieger

Hier geht es noch voran: Im Kreuz Leverkusen-West entsteht an der A1 eine Lärmschutzwand. Bei der Autobahn GmbH klafft bis 2029 eine Lücke von 5,5 Milliarden Euro. Bild: Ralf Krieger

NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer spricht von einem „Nackenschlag“. Man habe nicht gewusst, dass selbst baureife Projekte nicht durchfinanziert seien.

Diese Nachricht hat die Verkehrsminister der Bundesländer bei ihrer zweitägigen Sonderkonferenz in München aufgeschreckt. 5,5 Milliarden Euro fehlen der Autobahn GmbH bis 2029 für den Aus- und Neubau von Autobahnen und Bundesstraßen in Deutschland. Deshalb stehen bundesweit insgesamt 74 Projekte auf der Kippe, 40 davon in Nordrhein-Westfalen, obwohl für sie bereits Baurecht besteht oder bis 2029 erwartet wird.

„Die Ankündigungen in diesem Papier sind ein Nackenschlag aus Berlin für alle Bemühungen, den Sanierungsstau bei der Verkehrsinfrastruktur in NRW aufzulösen“, sagt NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne). „Das läuft allen unseren Bemühungen für mehr Erhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen zuwider, vom Ausbau ganz zu schweigen. Ich habe kein Verständnis dafür, wie es bei einem Sondervermögen von 500 Milliarden Euro zu dieser Entwicklung kommen konnte.“

Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

5,5 Milliarden Euro fehlen der staatlichen Autobahn GmbH bis 2029. Wie kommt diese Summe zustande?

Das liegt vor allem am starken Anstieg der Baupreise, heißt es in dem Bericht der Autobahn GmbH an den Verkehrsausschuss des Bundestages. Die hätten sich im Vergleich zur Planung für die Jahre 2021 bis 2025 um rund 42 Prozent erhöht. Darüber hinaus sei man von der Politik verpflichtet worden, dem Erhalt der bestehenden Infrastruktur Vorrang zu geben und müsse deshalb umschichten. Rund 25,6 Milliarden Euro seien dafür vorgesehen. Geld, das an anderer Stelle eingespart werden muss. Das Defizit beim Erhalt der Bundesfernstraßen in NRW beträgt laut Papier rund 5,1 Milliarden Euro. Insgesamt stehen für die Autobahnen in Deutschland rund 37,7 Milliarden an Investitionsmitteln von 2025 bis 2029 zur Verfügung. Das ist zwar deutlich mehr als in den fünf Jahren zuvor, reicht aber trotzdem nicht aus.

Warum kann die Autobahn GmbH nicht mehr Geld aus dem Sondervermögen für Infrastruktur bekommen?

Mittelfristig könnte das funktionieren. Diese Finanzmittel dürfen aber ausschließlich für den Erhalt von Brücken und Tunneln eingesetzt werden.

Welche Ausbauprojekte im Rheinland, die bis 2029 geplant waren, droht eine zeitliche Verschiebung oder gar das Aus?

Der vierstreifige Ausbau der A3 zwischen Leverkusen-Zentrum und dem Kreuz Leverkusen, die A57 zwischen den Kreuzen Moers und Kamp-Lintfort, zwischen Krefeld-Oppum, Krefeld-Gartenstadt und dem Kreuz Moers, die A59 gleich in zwei Abschnitten zwischen dem Flughafen Köln/Bonn und dem Dreieck Porz sowie den Dreiecken Bonn-Nord und Sankt Augustin-West. Auch der A1-Lückenschluss in der Eifel zwischen Adenau, Lommersdorf und Blankenheim könnte gestrichen werden.

Was sagt der Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) dazu?

Dass er die ganze Aufregung nicht versteht. Er habe schon vor Wochen kommuniziert, dass von 2026 bis 2029 im Ressort für die Bundesfernstraßen eine Lücke von 15 Milliarden Euro klafft, teilte eine Sprecherin mit. Die Frage der Finanzierbarkeit sei abhängig vom Bundeshaushalt 2026, der sich noch im parlamentarischen Verfahren befindet und bis Ende November vom Bundestag verabschiedet werden soll.

Stimmt das?

„Natürlich war uns diese Zahl bekannt“, entgegnet NRW-Verkehrsminister Krischer. „Was wir nicht wussten, dass alle Ausbauprojekte, die auf der Liste der Autobahn GmbH stehen, jetzt doch nicht durchfinanziert sind.“ Man habe den Bund aufgefordert, baureife Projekte auch zeitnah umzusetzen.

Gibt es sonst noch Differenzen?

Ja. Bei den Bundesstraßen in NRW droht ein deutlich schnellerer Verfall. Im politischen Berlin kursiert ein Papier, nach dem sich der Anteil der schlechten und sehr schlechten Abschnitte von derzeit einem Drittel auf mehr als die Hälfte der Fahrbahnen und damit auf eine Streckenlänge von 20.000 Kilometer anwachsen könnte. Die Unterfinanzierung liege schon jetzt bei 40 Prozent. Hauptgrund sei, dass die Sanierung von Brücken und Tunnel auf Bundesstraßen nicht aus dem Sondervermögen bezahlt werden müssen und deshalb große Teile des Budgets auffressen.

Was ist mit der sogenannten Stelze auf der A1 zwischen den Kreuzen Leverkusen und Leverkusen-West, die nach den Plänen der Autobahn GmbH mittelfristig erneuert und dabei auf vier Fahrstreifen pro Richtung erweitert werden soll?

Die A1-Stelze taucht im Bedarfsplan 2025 bis 2029 nicht auf, obwohl ihr Ausbau ja in einem Planfeststellungsverfahren mit dem Ausbau der A3 zwischen Leverkusen-Zentrum und dem Leverkusener Kreuz abgewickelt werden soll. Wenn sie als Brückenbauwerk eingestuft ist, könnte die Sanierung aus dem Sondervermögen bezahlt werden. Ob das aber auch für die vom Bund geplante und höchst umstrittene Erweiterung auf vier Fahrstreifen gilt, ist unklar.

Wie werden Sanierung und Ausbau von Autobahnen in Deutschland grundsätzlich finanziert?

Der Bau und die Erhaltung von Autobahnen, Schienen und Wasserstraßen wird im Bundesverkehrswegeplan (BVWP) geregelt. Der aktuelle BVWP 2030 wurde 2016 vom Bundeskabinett verabschiedet und ist das Gesamtkonzept der Bundesregierung für alle Verkehrsträger (Straße, Schiene, Wasserstraße). Der BVWP hat keinen Gesetzescharakter, sondern bildet die Basis für alle Ausbaugesetze für Straße und Schiene.

Der Bundestag berät und beschließt, welche Projekte aus dem BVWP in die Bedarfspläne der Ausbaugesetze aufgenommen werden. Die jeweiligen Ausbaugesetze müssen vom Bundestag verabschiedet werden. Erst dann könne die jeweiligen Projekte geplant werden. Auf Grundlage dieser Ausbaugesetze erstellt das Bundesverkehrsministerium Fünf-Jahres-Pläne, wann welche Projekte umgesetzt werden sollen. Diese Pläne werden dann mit einem Investitionsrahmenplan (IRP) unterlegt. In diesem steht konkret, für welches Bauprojekt wie viel Geld zur Verfügung gestellt wird.

Die Autobahn GmbH muss für jedes Projekt, für das der Bundestag per Ausbaugesetz grünes Licht gegeben hat, einen Finanzierungs- und Realisierungsplan (FRP) erstellen, also erklären, wann das Bauprojekt startet, wie lange es dauert und was es kostet. Grundlage dafür ist der jeweilige Bedarfsplan. Dann wird ausgerechnet, wie viel Geld für die Projekte vom Bundesfinanzminister pro Haushaltsjahr zur Verfügung gestellt werden muss.