Abo

Das Rheinische Revier nach den KlimaprotestenDer Hambacher Forst als ein anarchistischer Freiraum

Lesezeit 8 Minuten
Die Kirche von Keyenberg steht knapp 500 Meter vom RWE-Braunkohle-Tagebau Garzweiler entfernt.

Die Kirche von Keyenberg steht knapp 500 Meter vom Tagebau Garzweiler II entfernt.

Vier Monate nach den großen Protesten und der Räumung von Lützerath ist die Unsicherheit im Rheinischen Revier groß. Ein Ortsbesuch. 

Der Postbotin mit ihrem Elektroauto begegnet man in den wenigen Straßen von Berverath an einem grauen Mittwochmorgen immer wieder – und damit der Gewissheit, dass es in dem geretteten Umsiedlungsdorf am Braunkohletagebau Garzweiler II so etwas wie Leben und nicht nur tote Briefkästen gibt.

Die Suche danach gestaltet sich schwierig. Die Straßen sind leer. Wie unterscheiden, hinter welcher Hausfassade noch Menschen zu finden sind? „Sie können doch hier nicht einfach auf jedes Grundstück laufen“, ruft die Postbotin entrüstet, als sei sie Immobilien-Spekulanten auf der Spur. Doch was bleibt uns übrig?

Seit Lützerath sind vier Monate ins Land gezogen

Vier Monate sind seit der Räumung von Lützerath ins Land gezogen. Der Hof von Eckardt Heukamp existiert nicht mehr, einer der größten Polizeieinsätze von Nordrhein-Westfalen ist Geschichte, die Aktivistencamps auf dem Sportplatz von Keyenberg und in Kuckum liegen verlassen da. Wie es jetzt weitergehen soll, wissen weder diejenigen, die ihre Heimat nicht verlassen wollten, noch die Handvoll Klimaschützer, die nach den Protesten geblieben sind.

Alles zum Thema RWE

Selbstverständlich gibt es Pläne für die fünf Ortschaften, die der Kohlebagger nun doch verschonen wird. Stephan Mucke, Bürgermeister von Erkelenz, hat sie im Februar in der vollbesetzen Stadthalle vorgestellt. Sie tragen klingende Namen „Goldene Äcker“, „Land der Alleen“ und „Neustadt im See“. „Wir sind uns der Verantwortung bewusst, vor allem mit Blick auf die Menschen, die jahrelang gekämpft haben und weiterhin in den Dörfern wohnen“, sagte der CDU-Politiker damals.

Einer von ihnen, Uli Meisen, lehnt am Türpfosten seines arg renovierungsbedürftigen Hauses in Kuckum, das um 1660 gebaut worden sein muss. So ganz genau kann das keiner mehr sagen.

„Never take the easy way“ steht auf seinem Shirt im Bundeswehr-Look. Geh‘ niemals den leichten Weg. In Kombination mit einer olivgrünen Hose könnte er sich perfekt getarnt durch den Hambacher Forst schlagen. Aber das ist ja nicht mehr nötig. Der Forst ist gerettet, nur der durch den Tagebau gesunkene Grundwasserspiegel könnte ihm noch zum Verhängnis werden.

Der Hambacher Forst als anarchistischer Freiraum

Machen wir einen kurzen Abstecher in den Forst: Dort scheint Ruhe eingekehrt. Eine Wildschweinrotte kreuzt in sicherer Entfernung den Weg. Ein paar Baumhäuser werden sporadisch genutzt. Auf dem Weg zu „Oakland“, dem Zentrum des Widerstands, treffen wir Mike. „Wir sind hier, weil unter dem Wald immer noch Braunkohle liegt“, sagt er. Das Vertrauen zur Regierung „ist bei uns sehr schwach ausgeprägt“. Und außerdem sei „das hier ist ein wunderbarer anarchistischer Freiraum, der international bekannt ist. Solche Freiräume sind sehr rar. Wir sind hier auch so ein bisschen ein Erholungsort für Menschen, die Aktivismus als Beruf betreiben.“

Das „Dorf der Waldbeschützer“ am Waldrand gleicht einem Schrottplatz. aus einem Campingwagen klettert ein junger Spanier, nachdem er seinen Hund beruhigt hat. Drei Jahre lebe er schon hier. Mess (25), wie er sich nennt, sieht den „Hambi“ als einen Ort, „an dem man sich mal erholen kann. Hier wird zwar momentan nicht gekämpft, hier werden die nächsten Protestaktionen geplant.“

Zurück nach Kuckum: „Ich habe immer gedacht, die Bagger kommen gar nicht bis hierhin“, sagt Uli Meisen. „Wir sind erst hellhörig geworden, als in Hambach der Protest losbrach. Dann fing das auch hier an, dass die Leute wegzogen.“ Der 63-Jährige ist geblieben. Er ist daran gewöhnt, allein zu leben. Im Jahr 2017 sei mal ein Schreiben von RWE gekommen. „Wir machen gar nichts“, habe er damals zu seiner pflegebedürftigen Mutter gesagt, die um den Verlust ihrer Heimat gefürchtet habe. „Schmeiß‘ alles in den Ofen, wo RWE draufsteht.“

Manche sehen hier schon einen See. Aber keiner weiß, woher das Wasser kommen soll.
Ulrich Meisen, Bewohner von Kuckum

Meisen hält nicht viel von den hochtrabenden Plänen des Bürgermeisters. „Manche sehen hier schon einen See. Aber keiner weiß, woher das Wasser kommen soll.“ Aus dem Rhein hieß es zuletzt. „Aber der hat doch selbst zu wenig Wasser.“ Und dann solle es ja noch eine Seilbahn geben. „Das ist Utopie, was die sich vorstellen.“

Knapp 300 Flüchtlinge aus der Ukraine sind in Kuckum untergekommen, „überall verteilt auf mehrere Häuser. Mit vielen Kindern. Das ist doch schön. Hauptsache ist, es kommen wieder Leute ins Dorf.“ Ein ehemaliger Nachbar, der längst umgesiedelt sei, fahre regelmäßig mit dem Rad an seinem alten Haus vorbei. „Die neue Bewohnerin sitzt in einem Elektrorollstuhl und bedankt sich immer, dass sie in seinem alten Haus wohnen darf. Er antwortet dann: Das müssen Sie nicht, ich habe es ja verkauft.“

Für Meisen ist die schnelle Wiederbesiedlung der Häuser, von denen viele noch gut in Schuss sind, der Schlüssel für die Zukunft der Dörfer. Doch danach sieht es trotz der großen Wohnungsnot im Städtedreieck zwischen Köln, Düsseldorf und Aachen nicht aus.

Neubaur will sich mehr Zeit nehmen, um mit den Menschen zu reden

Die Landesregierung hat die neue Leitentscheidung zur Zukunft des Rheinischen Reviers auf den Herbst verschoben, weil sich die grüne Wirtschaftsministerin Mona Neubaur mehr Zeit nehmen will, mit den Menschen über die Zukunft der Dörfer zu reden. Mehrere Dialogveranstaltungen hat es schon gegeben. Jetzt will die Grünen-Politikerin noch mit Betroffenen reden. Mit den Umsiedlern, die über eine Rückkehr nachdenken, und denen, die gar nicht erst gegangen sind.

Doch ohne Leitentscheidung bleibt das Schicksal der unbewohnten Häuser ungewiss. Noch gehören sie dem Energiekonzern RWE, könnten in Landeseigentum überführt werden.

Eigentlich hat Barbara Ziemann-Oberherr gar keine Zeit. Sie ist auf dem Sprung, wie immer, muss zum Blutspende-Termin des Roten Kreuzes, weil sie dort als Helferin eingeteilt ist. Auf ihrem Wohnzimmertisch in Keyenberg stapeln sich die Aktenordner, doch wenn es darum geht, Politikern oder Reportern verständlich zu machen, wie die Zukunft aussehen soll, lässt sie alles andere stehen und liegen.

Der Gründung der Gemeinschaft „Zukunftsdörfer“, zu der sich ein Großteil der Keyenberger zusammengeschlossen hat, die nicht an RWE verkauft haben, stehen nur noch ein paar Formalien im Weg. Der Erkelenzer Bürgermeister hat ihr die Schlüsselgewalt für das Feuerwehrgerätehaus in Kuckum als neuem Versammlungsort überlassen. Ziemann-Oberherr war die erste, die in Zeiten, als über das Schicksal von Keyenberg noch nicht entschieden war, in eine Photovoltaik-Anlage investiert hat. Inzwischen seien ihr viele Dorfbewohner gefolgt. „Keyenberg ist schon jetzt energieautark“, sagt sie. „Unser Plan ist, alle Dörfer klimaneutral zu machen. Das sollen energetische Vorzeigedörfer werden. Mit Photovoltaik und Geothermie. Durchaus in Zusammenarbeit mit RWE.“

Gräben zwischen Dorfbewohnern und Aktivisten sind nicht zugeschüttet

Wenn alle das Gleiche wollen, ist es doch nicht dasselbe. Die Gräben zwischen Klimaaktivisten und Dorfbewohnern sind längst nicht zugeschüttet. Selbst wenn es ohne den Anstoß von außen und ohne die Aktionen im Hambacher Forst in den Dörfern es wohl keiner gewagt hätte, gegen die Braunkohle und den Energiekonzern aufzubegehren. Und so hat es die Gemeinschaft „Zukunftsdörfer“ als Zumutung empfunden, dass die grüne Landtagsfraktion in der vergangenen Woche ausgerechnet mit denen durch Keyenberg und Kuckum spaziert ist, die für Ziemann-Oberherr „so weit links stehen, dass sie den Staat stürzen wollen und die mit den Dörfern gar nichts zu tun haben.“

Gemeint ist die Dörfergemeinschaft „Kultur-Energie“, ein Ableger des Aktionsbündnisses „Alle Dörfer bleiben“, das den Protest über Jahre organisiert und großen Anteil an deren Rettung hat. Antje Grothus, grüne Landtagsabgeordnete aus dem Rhein-Erft-Kreis, die selbst viele Jahre als Aktivistin gegen die Braunkohle kämpfte, lobt die „fundierten Ideen“ von einem „generationsübergreifenden Zusammenleben, einem guten Nahversorgungsangebot, kulturellen Angeboten und einer guten Verkehrsinfrastruktur“.

Das bringt Ziemann-Oberherr auf die Palme. Bei der Bürgersprechstunde mit der Umsiedlungsbeauftragten der Landesregierung sei „von denen keiner anwesend“ gewesen.

Vielleicht könnte es ein Anfang sein, dass der Verein „Zukunftsdörfer“ von der Stadt Erkelenz aufgefordert wurde, der Initiative „Kultur-Energie“ einen Schlüssel fürs Kuckumer Feuerwehrhäuschen zu überlassen. Schließlich sei das ein Versammlungsort für alle Bürger.

Auch für den Klimaaktivisten Balou, der natürlich nicht so heißt und am Ortsrand mit ein paar Mitstreitern der Initiative „Unser aller Wald“ im letzten Baumhaus von Keyenberg hockt und über genossenschaftliches Wohnen, kollektive Werkstätten und die Wiedereröffnung der Kita nachdenkt, weil die in Neu-Keyenberg aus allen Nähten platzt.

Gemeinsam mit anderen Aktivisten kämpfen sie schon wieder. Diesmal derzeit für den Erhalt einer Landstraße, deren drohender Abriss im Juni für das Fortschreiten des Tagebaus das schon vor Jahre gerettete Örtchen Holzweiler endgültig von Keyenberg abschneiden würde. Ebenfalls in diesem Sommer sollen sieben weitere Windräder im Tagebauvorfeld abgerissen werden. Am Ortseingang steht eine Mahnwache. Am Sonntag gab es eine Demo.

„Wir brauchen hier endlich wieder eine Infrastruktur. Man kann Menschen nicht dazu bewegen, in ein fast totes Dorf zu ziehen“, sagt Balou. „Idealerweise wäre es, wenn RWE die Häuser wieder zugänglich macht als Wohnraum für Menschen. Das Land müsste Grundstücke und Häuser übernehmen, auch im Interesse der geflüchteten Menschen. Und der Menschen aus dem Ahrtal. Natürlich brauchen wir hier auch wieder mal einen Tante-Emma-Laden.“

Immerhin hat Wolfgang Laumanns, der letzte Bäcker in den fünf Dörfern, entschieden, seinen Laden in Keyenberg doch nicht zu schließen und fährt zusätzlich mit einem Brotwagen durch die Gegend. Für ein Gespräch mit Reportern hat er keine Zeit. Er ist seit zwölf Stunden auf den Beinen und muss ausliefern. Es gibt viel zu tun. Und das macht Hoffnung.

KStA abonnieren