Spitzen-Grüne Dröge zu Lützerath„Es gibt Videos mit harten Bildern im Internet“

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Grünen-Politikerin Katharina Dröge gestikuliert während eines Interviews.

Grünen-Politikerin Katharina Dröge ist neben Britta Haßelmann Vorsitzende der Bundestagsfraktion ihrer Partei. (Archivibild)

Die Räumung von Lützerath stellt die Grünen vor eine Zerreißprobe. Ein Interview mit Katharina Dröge, Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen im Bundestag.

Der Polizeieinsatz bei der Räumung des Braunkohledorfes Lützerath muss nach Einschätzung von Katharina Dröge, Fraktionsvorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, parlamentarisch nachbereitet werden.

„Es gibt Videos mit harten Bildern im Internet“, sagte die Bundestagsabgeordnete unserer Zeitung. Die Bilder zeigten einen „teilweise harten Polizeieinsatz“ und Demonstrierende, die versucht hätten, die Abbruchkante des Tagebaus zu erreichen und sich damit in Lebensgefahr begeben hätten. „Wir werden mit unseren parlamentarischen Beobachter*innen über ihre Eindrücke sprechen. Auch der Landtag NRW wird sich mit diesem Einsatz beschäftigen“, kündigte Dröge an.

Videos reichen nicht aus, um die Lage voll zu erfassen

Videos allein seien „nicht ausreichend, um ein umfassendes Bild zu bekommen und um die Rechtmäßigkeit der getroffenen Maßnahmen zu beurteilen. Deshalb braucht es eine strukturierte Aufarbeitung“, sagte die Grünen-Politikerin aus Köln.

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Die Aktion von zwei Aktivisten, die sich in einem unterirdischen Tunnel angekettet hatten, lehnte Dröge ab. „Ich habe kein Verständnis dafür, wenn Menschen sich bei Protesten in Lebensgefahr bringen“, sagte Dröge unserer Zeitung.


Frau Dröge, am Wochenende kam es in Lützerath zu gewalttätigen Protesten. Ist die Deeskalations-Strategie von Polizeipräsident Weinspach gescheitert?

Katharina Dröge: Friedliche Demonstrationen für mehr Klimaschutz sind wichtig. Mit Blick auf die Räumungen: Mir wurde berichtet, dass sich bis Freitag sowohl die Demonstrierenden überwiegend friedlich verhalten haben als auch der Polizeieinsatz überwiegend deeskalierend erfolgte.

Von der Demo am Samstag haben uns andere Bilder erreicht. Sowohl von einem teilweise harten Polizeieinsatz als auch von Demonstrierenden, die versucht haben, die Abbruchkante des Tagebaus zu erreichen und sich damit in Lebensgefahr begeben haben. Der Einsatz muss jetzt ausgewertet werden.

Bei der Großdemonstration im Braunkohledorf Lützerath treffen Demonstranten und Polizisten auf Pferden aufeinander.

Protestierende und berittene Polizei bei der Großdemonstration am vergangenen Samstag.

Liegen Ihnen Hinweise auf eine überzogene Polizei-Gewalt gegen Demonstranten vor?

Ich war selbst nicht vor Ort. Wir werden mit unseren parlamentarischen Beobachter*innen über ihre Eindrücke sprechen. Auch der Landtag NRW wird sich mit diesem Einsatz beschäftigen. Es gibt Videos mit harten Bildern im Internet. Aber Videos allein sind nicht ausreichend, um ein umfassendes Bild zu bekommen und um die Rechtmäßigkeit der getroffenen Maßnahmen zu beurteilen. Deshalb braucht es eine strukturierte Aufarbeitung.

Sollten die Ermittlungen gegen Beamte bei der Lützerath-Räumung durch die Polizei oder durch unabhängige Stellen geführt werden?

Unsere Abgeordneten sind als parlamentarische Beobachtung vor Ort, um als unabhängige Ansprechpersonen zu dienen. Wenn Opfer von unrechtmäßiger Polizeigewalt Strafanzeige erstatten, ermittelt die Staatsanwaltschaft. Der NRW-Landtag wird sich ebenfalls mit dieser Frage beschäftigen. Und auch der NRW-Innenminister hat bereits angekündigt, bekannt gewordene Fälle aufarbeiten zu wollen.

Die Grünen haben den Deal mit RWE, Lützerath abzubaggern, mit beschlossen. Wie kann man erklären, dass Abgeordnete vor Ort dagegen demonstrieren?

Wir Grünen konnten durchsetzen, die Menge an Braunkohle, die im Tagebau Garzweiler abgebaggert werden darf, zu halbieren. Wir haben fünf Dörfer sicher gerettet. Dass Lützerath nicht gerettet werden konnte, ist nicht Ergebnis eines Deals mit RWE. Es stand schon vorher fest.

SPD und FDP wollten vor der Bundestagswahl keinen Kohleausstieg 2030. Den haben wir in den Ampel-Koalitionsverhandlungen durchgesetzt. Lützerath zu retten, war im Rahmen dieser Verhandlungen leider nicht durchsetzbar. Die Abgeordneten von uns, die vor Ort waren, waren in erster Linie da, um den Einsatz als parlamentarische Beobachter*innen zu begleiten.

Timon Dzienus von der Grünen Jugend zeigt sich in Lützerath mit der sozialistischen Kämpferfaust. Sind solche Signale hilfreich?

Es ist doch klar, dass die Grüne Jugend mit ihren inhaltlichen Forderungen teilweise weiter geht als die Grüne Partei es in einem Kompromiss mit SPD und FDP aushandeln kann.

Wie sehr schmerzt Sie Kritik der Klimabewegung an den Grünen persönlich?

Dass wir Lützerath nicht retten konnten, schmerzt. Wir Grünen – gerade in NRW – haben immer für den Kohleausstieg gekämpft. Besonders am Tagebau Garzweiler. Deshalb ist es so wichtig, den Kohleausstieg um acht Jahre vorzuziehen. Deswegen brauchen wir jetzt auch dringend einen Kohleausstieg 2030 in Ostdeutschland. Ich finde nicht, dass wir Grünen den Anspruch haben sollten, von den Umweltverbänden nur gelobt zu werden – für Kompromisse, die wir mit Koalitionspartnern machen müssen, die etwas völlig anderes wollen als wir.

Entfremden sich die Grünen als Regierungspartei von ihrer Basis?

Nein. Wir haben diese Frage intensiv auf unserem Bundesparteitag diskutiert. Und klar heißt regieren immer, dass man Kompromisse eingehen muss. Und natürlich ringen wir Grünen gerade beim Klimaschutz mit diesen. Aber für mich im Parlament gilt: Wenn ich die Chance habe, mehr Klimaschutz zu erreichen, dann entscheide ich mich dafür.

Ich verstehe, wenn die Menschen unzufrieden damit sind, dass der Kampf gegen die Klimakrise nicht schnell genug vorangeht

Wieso können Robert Habeck und Mona Neubaur die Aktivisten mit ihren Argumenten nicht überzeugen?

Ich verstehe, wenn die Menschen unzufrieden damit sind, dass der Kampf gegen die Klimakrise nicht schnell genug vorangeht. Geht mir ja auch so. Deshalb sollten wir jetzt gemeinsam dafür streiten, dass Deutschland in allen Sektoren schneller vorankommt.

Zwei Männer hatten sich in einem selbst gegrabenen Tunnel angekettet. Haben Sie Verständnis für solche Protestformen?

Ich habe kein Verständnis dafür, wenn Menschen sich bei Protesten in Lebensgefahr bringen.

Wird sich der Protest neue Symbolorte suchen, wenn Lützerath weggebaggert ist?

Es gibt viele Orte in Deutschland, wo der Klimaschutz in Zukunft verhandelt wird. Zum Beispiel in Ostdeutschland, wo ja noch bis 2038 Kohle gefördert werden soll. Hier wollen wir den Kohleausstieg auch auf 2030 vorziehen. Und bei der Frage Neubau von Autobahnen. Wer Klimaschutz ernst meint, kann hier nicht einfach so weiter machen.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat sich bei den Protesten weggeduckt. Ärgert Sie das?

Wir müssen mehr über diejenigen sprechen, die uns die aktuelle Situation einbrockt haben. Die CDU hat die Energiewende in der Vergangenheit als Regierungspartei massiv ausbremst. Deswegen setzen wir uns jetzt in NRW und im Bund mit voller Kraft für weitere Klimaschutzmaßnahmen wie eine echte Verkehrswende oder den früheren Kohleausstieg im Osten ein

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