Roman von Opladenerin„Nicht so einfach, den Weg zurück ins normale Leben zu finden“

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Kind dieser Stadt Cover Credit Piepfein_Juna Nieves

Juna Nieves Debütroman

  • Autorin Juna Nieves (Künstlername) aus Opladen hat ihren Debütroman veröffentlicht.
  • Im Interview erzählt sie, wie sie sich mit dem Thema „Wohnungslosigkeit“ beschäftigt hat, wieso manche gar nicht von der Straße wegwollen, andere wiederum es nicht schaffen.

Leverkusen – Juna Nieves, Ihr Debütroman „Kind dieser Stadt“ ist bereits im Februar diesen Jahres erschienen und handelt von einer Liebesgeschichte zwischen einem Studenten und einer Obdachlosen. Woher kam Ihnen die Idee?

Ich habe von dieser Geschichte geträumt. In meinem Kopf formten sich immer genauer die Charaktere und die Nebenhandlungen. Ich habe dann ein bisschen im Internet gesucht und festgestellt, dass es kaum Lesestoff zu der Thematik gibt. Da war die erste Szene schon geschrieben.

Sie haben einen Euro von jedem verkauften Buch an das Leverkusener Hilfsprojekt „Kältegang“ gespendet, das sich für Obdachlose einsetzt. Wie kamen Sie auf die Organisation?

Ich habe mich durch meinen Roman natürlich sehr mit dem Thema Obdachlosigkeit auseinandergesetzt, da war es super, eine so tolle Crew vor Ort zu haben. Der Kontakt war immer sehr freundlich und auch in den Sozialen Medien ist für alle einsehbar, was gerade getan wird. Deshalb habe ich ein gutes Gefühl dabei, dorthin zu spenden.

„Kältegang“ setzt sich für diejenigen Menschen ein, die nicht wieder von der Straße wegkommen wollen – aus verschiedenen Gründen. Auch die Gruppe in Ihrem Buch lehnt eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft aus unterschiedlichen Gründen ab. Ist das ein Punkt, der in Gesprächen über Obdachlose zu häufig vernachlässigt wird?

Ja, das glaube ich schon. Wobei es viele auch nicht aus eigener Kraft können. Allein ein Behördengang stellt für manche eine unüberwindbare Hürde dar. In meiner Recherche zum Buch habe ich etliche Erfahrungsberichte gelesen, mit Leuten gesprochen und mit zuständigen Ämtern telefoniert. Es ist gar nicht so einfach, den Weg zurück ins normale Leben zu finden.

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Woran liegt das?

Es ist eben nicht „mal eben einen Job suchen, dann eine Wohnung mieten“, wie viele auf den ersten Blick denken. Dominik Bloh (Hamburger, der von Kindesbeinen an immer wieder auf der Straße lebt, Anm. d. Red.) hat es in seiner Biografie „Palmen aus Stahl“ sehr eindrucksvoll geschildert, wie er in dem Bürokratiedschungel untergegangen ist. Wenn dir nachts auf der Straße dein Rucksack geklaut wird, hast du keine Papiere mehr. Somit kannst du beim Amt keine Leistungen beantragen. Einen neuen Personalausweis zu beantragen, kostet Geld. Die Menschen müssen sich entscheiden, ob sie das wenige Geld lieber für Lebensmittel oder einen neuen Perso ausgeben. Es gibt viele Gründe, die es den Menschen schwer macht, wieder in ein gesellschaftskonformes Leben zurückzukehren. Natürlich können das auch emotionale Gründe sein. Viele haben vielleicht auch Angst davor, dieses Leben gar nicht mehr bestreiten zu können. Sich wieder von anderen abhängig zu machen, wieder vertrauen zu lernen.

Sie kommen selbst aus Opladen, die Geschichte in Ihrem Roman aber spielt in Köln. Warum nicht in Leverkusen?

Für mich war eine Großstadt wie Köln stimmiger im Gesamtkontext.

Die Geschichte ist auch eine Coming-of-Age-Geschichte. Es geht auch darum, herauszufinden, wo der eigene Platz im Leben ist. Warum finden einige ihn und andere nicht?

Das ist eine gute Frage und kann bestimmt auf Hundert verschiedene Arten beantwortet werden. In meinen Augen fängt es in der Kindheit an. Manche Kinder werden so erzogen, dass sie sich selbst ausprobieren dürfen, ernst genommen werden und Rückhalt durch ihre Familie haben – anderen fehlt das. Manche Menschen haben ein unverwüstliches Selbstbewusstsein, andere sind eher zurückhaltend und schnell zu verunsichern. So hat jeder unterschiedliche Grundvoraussetzungen, um mit Enttäuschungen oder Unsicherheiten umzugehen. Manche halten an sich selbst und ihrem Ziel fest, andere kommen vom Weg ab. Und dann entscheidet oft der Zufall, ob ihnen etwas Gutes oder Schlechtes in die Quere kommt. Ich möchte nicht sagen, dass es früher besser war, aber diese Flut an Optionen, die Jugendliche heute haben, ist auch nicht einfach.

Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie ist es für Menschen, die auf der Straße leben noch wesentlich schwerer geworden, sie haben kaum Schutz vor dem Virus. Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern?

Ich würde mir wünschen, dass die Gesellschaft hilfsbereiter wird. Sei es durch finanzielle Spenden, Sachspenden, ehrenamtliche Arbeit bei Hilfsprojekten – Kältegang sucht übrigens Helfer für die kalte Jahreszeit! – oder einfach dadurch, mal ein wertfreies, nettes Gespräch mit jemandem zu führen, der sonst oberflächlich abgestempelt wird. Obdachlosigkeit darf kein Tabuthema sein, es ist keine Randerscheinung. Es passiert so vielen Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Wir sollten einen wohlwollenderen Blick darauf haben, dann fällt jedem ganz sicher eine Kleinigkeit ein, wie er helfen kann. Wie zum Beispiel, Pfand neben die Mülltonne zu stellen, die ausrangierte Jacke zu spenden, statt zu entsorgen.

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