„Ich wusste im ersten Moment nicht, was ich da sehe. Ich habe es aufgehoben und dann festgestellt, dass es eine Schädeldeckel ist“, erzählt die 20-Jährige, die die Abbaggerung und Umsiedlung Immeraths mit Videos und Fotos auf den Internetportalen Youtube und Instagram dokumentiert. Sie habe die Schädeldecke dann ins Gras gelegt und noch am Abend die Polizei verständigt. Am nächsten Morgen hätten dann Mitarbeiter der Stadt Erkelenz die Schädeldecke abgeholt und entsorgt.
Diese menschliche Schädeldecke fanden Marielle König und Patrick Mehr.
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„Das war schon ein bisschen gruselig“, meint auch ihr Freund Patrick Mehr zu den Vorkommnisse. Beide sind Gegner des Kohleabbaus. Marielle König wohnt im Nachbardorf Holzweiler. Der Vorfall zeige, wie schlampig bei den Umbettungen in den von den Umsiedlungen betroffenen Dörfer gearbeitet werde, meinen beide. „Es wird nicht wirklich aufgepasst, was die Leute hier auf den Friedhöfen so machen.“
Beide haben den Schädelfund bei Facebook veröffentlicht, was dann schnell die Runde machte. Auch Denis Franzen kannte die Geschichte deshalb schon, als er darauf angesprochen wurde. Sie ärgere ihn, berichtet er. Denn die Sache werfe, so sagt er, ein falsches Licht auf den Umgang mit umzubettenden Gräbern im Rheinischen Revier.
Franzen ist nicht für Umbettungen auf Friedhöfen zuständig, hat als Grabungstechniker des Amtes für Bodendenkmalpflege aber dennoch viel mit Gräbern zu tun. Im Moment untersucht er mit seinen Mitarbeitern das Gebiet des bereits abgerissenen „Immerather Doms“. Die Kirche stand rund einen Kilometer von dem Friedhof entfernt, der erst im 19. Jahrhundert eröffnet worden ist. Vorher sind die Leichen im Dorf jahrhundertelang an der Kirche und ihren Vorgängerkirchen bestattet worden, erzählt Franzen. „Das ganze Feld hier ist voll von Knochen.“ Seit dem 12. Jahrhundert seien hier schätzungsweise 2000 Menschen bestattet worden.
Denis Franzen leitet eine archäologische Grabung am ehemaligen Immerather Dom. Hier sind im Laufe der Jahrhunderte rund 2000 Menschen begraben worden. „Das Feld ist voller Knochen.“
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Im Zuge der archäologischen Untersuchungen würden auch viele Gräber freigelegt und sorgfältig dokumentiert. Möglichst alle Knochen sammele man ein und bestatte diese in einem Sammelgrab würdevoll neu. Bei der Menge könne es aber durchaus sein, dass auch schon mal ein Knochen abhandenkomme. Franzen vermutet, dass die auf dem Friedhof gefundene Schädeldecke von seiner Grabungsstelle stammt, die nachts nicht bewacht sei. Der Knochen sei dann – von wem und warum auch immer – von dort aus zum Friedhof gebracht worden.
Auch RWE hält es für „nahezu ausgeschlossen“, dass die Schädeldecke von einer der Umbettungen auf dem Friedhof stammen könnte: Diese würden nämlich mit „großer Sensibilität und Sorgfalt“ durchgeführt, so Sprecher Olaf Winter. Vor der Umbettung würden die Gräber einzeln von mindestens zwei Fachleuten geöffnet. Dann würden die Überreste der Gebeine eingesammelt und in einen Sarg gelegt. Die Beisetzung im neuen Grab erfolge unmittelbar.