Unter Eltern und Lehrern ist die Wut groß. Hat eines der reichsten Bistümer Deutschlands kein Geld für ein kleines, gelobtes Bonner Gymnasium?
Erzbistum Köln gibt Gymnasium auf„Kardinal Woelki behandelt uns mittelalterlich und von oben herab“
Bei Familie Lützeler war gerade erst die Vorfreude eingezogen, da sorgte die Nachricht vom drohenden Ende auch schon wieder für Tränen. Mit stolzen Augen seien ihre Zwillingstöchter im Herbst noch vom Anmeldegespräch an der Erzbischöflichen Liebfrauenschule (LFS) in Bonn gekommen. Endlich sollten die Mädchen auch Teil sein einer Schulgemeinschaft, die sie von ihren beiden älteren Schwestern schon kannten: „Der Mint-Workshop, das Sommerfest, die Musical-Aufführungen. Das fanden die Mädchen so schön“, erzählt Janina Lützeler über ihre Töchter.
Dann Ende März dieses Jahres plötzlich die dunkle Nachricht am wolkenlosen Bildungshorizont: Die Liebfrauenschule in Bonn wird es ab 2029 so nicht mehr geben. Lützelers Kinder werden dann regelkonform erst mit der zehnten Klasse fertig sein. Das Versprechen, die Kinder bis zum Abitur zu führen, wird nicht mehr eingelöst. „Die Mädchen haben geweint. Sie sind zutiefst enttäuscht. Sie hatten sich so auf eine schöne Schulzeit gefreut. Jetzt starten sie hier auf einer sterbenden Schule und wissen nicht, wie es weitergehen soll. Diese Ungewissheit quält die Kinder“, sagt Lützeler.
Die Liebfrauenschule in Bonn hat es sich seit mehr als 100 Jahren zur Aufgabe gemacht, Bonner Mädchen bis zum Abitur „und ins Erwachsenwerden“ zu führen, wie es auf der Homepage der Schule heißt. Aus der Taufe gehoben wurde die Schule 1917 in einer schmucken Gründerzeitvilla in der Bonner Südstadt von den Schwestern des Ordens Unserer Lieben Frau. Seit 1975 hat das Erzbistum Köln die Trägerschaft inne. Seither haben etwa 2750 Abiturientinnen am naturwissenschaftlich ausgerichteten, dreizügigen Mädchengymnasium die Reifeprüfung abgelegt.
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Erzbistum gibt Trägerschaft ab, obwohl aus der Elternschaft nur Lob zu hören ist
Eine Erfolgsgeschichte, könnte man meinen. Und hört man sich unter den Eltern um, dann fallen ausschließlich lobende Worte über die Atmosphäre an der LFS: „Kleine Klassen, in denen die Kinder nicht untergehen“, „angenehm und ruhig“, „Mädchen sind unter sich“, „familiär“, „liebevoll“, „keine Massenveranstaltung“, „extrem positive Ansprache“. Ein glänzendes Aushängeschild für die katholische Kirche, die in den vergangenen Jahren eher mit Negativschlagwörtern wie „Missbrauch“ und „Austritten“ in Verbindung gebracht wird. Dennoch: Die Erfolgsgeschichte soll jetzt zu Ende gehen. Man werde „die Trägerschaft der Erzbischöflichen Liebfrauenschule in Bonn in sechs Jahren, d.h. 2029 abgeben“, schreibt das Erzbistum Köln auf Anfrage dieser Zeitung.
Schulen sind das Fundament unserer Gesellschaft. Wenn sie schließen, ist die Empörung groß. Die Gründe für die Abkehr vom bildungspolitischen Engagement des Erzbistums versucht ein Gutachten der Beraterfirma „Biregio“ mit Sitz in Bonn deshalb in einer 55-seitigen Powerpoint-Präsentation penibel darzulegen. Die Schule erreiche bereits seit 2012/13 keine „volle Dreizügigkeit“ mehr. „Sie gerät nun zunehmend in die Zweizügigkeit und bietet keine gesicherte Zukunftsperspektive.“ Kursangebote in der Oberstufe könnten „aufgrund dieser Entwicklung nur durch die Kooperation“ mit anderen erzbischöflichen Gymnasien abgedeckt werden, schreibt das Erzbistum auf Anfrage. Katholischer Nachwuchs in Massen ist nicht zu erwarten. Heute ist nach einer Auswertung von Biregio nur etwa jedes dritte Kind in einer Bonner Grundschule katholisch. Die Schule habe zu wenige Schülerinnen. In einem anderen Papier wird dagegen eine Raumknappheit heraufbeschworen. An der LFS fehlten für Kursangebote in der gymnasialen Oberstufe „rund 3000 Quadratmeter“. Die Schule habe zu wenig Platz.
Was nun, fragt man sich in der aufgebrachten Elternschaft. Zu wenig Schülerinnen oder zu wenig Raum? „Diese Schule besteht seit über 100 Jahren in Dreizügigkeit. Es kann doch nicht sein, dass plötzlich zu wenig Platz da ist“, sagt Sascha Sehr von der Elternschulpflegschaft der LFS. Und auch gegen ein drohendes Absinken der Schülerzahlen habe man schon vor Jahren „Milliarden Vorschläge“ gesammelt, wie Kollegin Sandra Geuenich sagt. Sie reichten von festen Kooperationspartnernschaften mit anderen Schulen bis zu einer Erweiterung um Jungenklassen. „Das Erzbistum sagt aber: Alle Konzepte wurden schon geprüft und für untauglich befunden. Vorliegende Gutachten werden uns aber nicht zur Verfügung gestellt“, klagt Geuenich. Auch gegenüber dieser Zeitung stellt das Erzbistum Köln auf Anfrage fest, dass man Lösungsansätze wie die Aufnahme von Jungen geprüft habe, sich dabei aber „keine tragfähige Lösung ergeben“ habe.
Die katholische Kirche ist der größte Privatschulträger in Deutschland – noch. Denn Mitgliederschwund und sinkenden Taufzahlen begegnen Bistümer nicht selten mit Rückzug. Um Kosten zu sparen, trennt man sich von Bildungseinrichtungen. Auch das Erzbistum Köln, das zu den reichsten Diözesen Deutschlands zählt und im Jahr 2021 noch einen Gewinn von 84,7 Millionen Euro einstreichen konnte, beschreitet diesen Weg. Neben der LFS gibt man von den bislang 33 Schulen aktuell auch die Trägerschaft am Erzbischöflichen Friedrich-Spee-Kolleg in Neuss sowie der Tagesschule in Wuppertal-Dönberg ab. Ausschlaggebend sind meist Kennzahlen, wie sie auch rein auf Profit getrimmte Finanzchefs von Wirtschaftsunternehmen zurate ziehen: Nachfrage, Auslastung, Rentabilität. Aber können derlei Vorstellungen von Unternehmensberatern zum Maßstab für christliche Bildung werden? Muss es nicht gerade in der Kirche Platz geben für kleine Bildungseinrichtungen, in denen Nächstenliebe den fehlenden Japanischkurs schlägt? Und: Sollte Kirche in der Krise nicht gerade ihren Platz als Wertevermittler in Schulen verteidigen?
Kardinal Woelki, so der Vorwurf, würde sein Geld lieber in sein Prestigeprojekt stecken
In Bonn findet man: ja. Und ist wütend. Das Erzbistum Köln habe die Schule durch fehlende Werbung und verschleppte Neubesetzungen von Schlüsselstellen, wie Schulleitung und Schulpfarrer, bewusst am langen Arm verhungern lassen. Was Bonner Familien zu verlieren drohen, sei nicht weniger als ein „hoch qualifiziertes und hoch engagiertes Kollegium“ sowie „ein familiärer Rahmen, der den Schülerinnen auch in Krisenzeiten ein Gefühl von Halt und Geborgenheit vermittelt“, beschreibt es eine Lehrkraft. Wichtiger als das Engagement an einem kleinen Gymnasium, dessen Abiturientinnen dem Vernehmen nach regelmäßig zu den besten des Landes gehörten, sei dem Kardinal ein ebenso teures wie umstrittenes Prestigeprojekt, die Kölner Hochschule für Katholische Theologie. Das Erzbistum dementiert: Durch die Schließung der LFS erziele man „keine unmittelbaren finanziellen Einspareffekte“.
Von Elternseite bemängelt man vor allem die Kommunikationsleistung. „Hätte man uns das Aus nur einen Monat früher mitgeteilt, hätten wir unsere Tochter noch an einer anderen Schule anmelden können“, sagt zum Beispiel Johannes von Mikulicz-Radecki, dessen Tochter ab August die LFS besucht. Mehrere auch betroffene Bekannte erwägten seit der Schließungsnachricht, aus der katholischen Kirche auszutreten. „Von einer sozialen Organisation wie der Kirche erwarte ich schon einen etwas anderen Umgang mit Menschen und vor allem den betroffenen Schülerinnen.“ Joachim Koschnicke, dessen Tochter die 5. Klasse besucht, wirft dem Erzbistum bewusste Falschaussage vor: „Es ist ungeheuerlich, dass man hier Mädchen aufnimmt und dann das Versprechen zurückzieht, sie bis zum Abitur zu führen. Ich unterstelle, dass wir belogen wurden. Die Pläne zur Schließung kamen schließlich nicht aus dem Busch.“ Kardinal Woelki behandle die Stadt Bonn und alle Beteiligten „mittelalterlich und von oben herab“.
Die Elternpflegschaft der LFS will die Schließungspläne des Erzbistums nicht akzeptieren. Das Erzbistum bekennt, zu Gesprächen, „ob und wie der Schulstandort als solcher in anderer Trägerschaft erhalten bleiben kann“, bereit zu sein. Als Träger hat sich nun die Stadt Bonn ins Spiel gebracht, schließlich könne man auf 600 Schulplätze nicht einfach verzichten, heißt es im Schulausschuss. Naheliegend sei eine Kooperation mit dem benachbarten Clara-Schumann-Gymnasium. Zufrieden ist die Elternpflegschaft mit solch einem Rettungsangebot nicht. „Wir wollen ja gerade nicht in einer riesigen, siebenzügigen Schule aufgehen. Wir wollen unsere familiäre, christliche Prägung fortführen“, sagt Sandra Geuenich. Man sei derzeit auf eigene Faust auf der Suche nach einem geeigneten Träger. Infrage komme beispielsweise ein anderer christlicher Träger.
Die Hoffnung, die Schule in ihrer jetzigen Form erhalten zu können, sie lodert noch. Mit selbstbewusstem Aufbegehren gegen unliebsame Entscheidungen haben die Schülerinnen in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht. Auf der Homepage des Gymnasiums verweist man stolz auf den „Hosenkrieg“ in den 60er Jahren. Die Schülerinnen hätten sich damals dem Verbot, in der Schule Hosen zu tragen, erfolgreich widersetzt. Vater Joachim Koschnicke sagt: „Wir kämpfen für diese Schule. Aber auch für eine positive Erweckung der Kirche. Keiner“, so versichert er, „hat hier aufgegeben.“