„Bizarre Reise“Robert Habecks schier unlösbares Dilemma

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habeck scheich dpa

Wirtschaftsminister Robert Habeck (l.) begrüßt Scheich Mohammed bin Hamad bin Kasim al-Abdullah Al Thani.

  • Robert Habeck war angetreten, um in Deutschland eine grüne Industrie aufzubauen.
  • Doch seit dem russischen Angriff auf die Ukraine muss ausgerechnet der Vizekanzler von den Grünen die Versorgung Deutschlands mit Öl, Kohle und Gas sicherstellen.
  • Was macht das mit ihm?

Die Sache ist schräg, und das weiß Robert Habeck natürlich selbst. „Bizarr“ sei diese Reise an den persischen Golf, räumt der Vizekanzler am Montag in Abu Dhabi ein. „Psychologisch ein ganz schöner Spagat“.

Habeck steht in der Wüste vor den Toren der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate und schwitzt. In seinem Rücken funkeln die Module eines Solarfeldes in der Sonne, vor ihm liegt die CO2-neutrale Vorzeige-Ökostadt Masdar City, aber unter seinen Schuhen, tief im Wüstensand verborgen, lagern gigantische Mengen Öl und Gas. Zukunft und Vergangenheit, hier liegen sie ganz nahe beisammen.

Diese Gegensatz allein wäre noch kein Problem, im Gegenteil. Ein Golfstaat dessen Reichtum allein auf der Förderung und Verbrennung fossiler Energieträger basiert, stellt die Weichen für eine klimaneutrale Zukunft – aus Habecks Sicht ist das eine nahezu perfekte Geschichte.

Was die dreitägigen Reise des Ministers und einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation an den Golf so kompliziert macht, sind ihre Anlass und ihr Ziel: der russische Überfall auf die Ukraine und der deutsche Versuch, mit arabischem Flüssiggas unabhängiger von Russland zu werden.

Im Grunde steckt Habeck in einem unlösbaren Dilemma. Er muss jetzt mit deutschen Managern in arabischen Luxushotels Milliardendeals einfädeln, weil und während in der Ukraine Menschen sterben. Reichtum, Luxus und Sicherheit hier, Kälte, Hunger und Tod dort. „Das ist nicht einfach, das zusammenzukriegen“, sagt Habeck. „Aber wir müssen diesen Schritt jetzt gehen.“

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Es ist eine atemberaubende Wandlung, die Robert Habeck in seinem ersten 100 Tagen im Amt durchmachen musste. Er, der sich vorgenommen hatte, die Energiewende voranzutreiben, die deutsche Wirtschaft auf Nachhaltigkeit zu trimmen und eine grüne Industrie aufzubauen, muss nun durch die Öl- und Gasnationen dieser Welt tingeln, um fossilen Energien einzukaufen. Beim Film hätten sie ein solches Drehbuch wohl wegen fehlender Plausibilität zurückgeschickt, aber was an der Entwicklung der vergangenen Wochen ist schon noch plausibel?

Anfang vergangenen Jahres, als Habeck noch hoffte, Kanzlerkandidat zu werden, hat er ein Buch geschrieben. Der Verlag hat es damals ungefragt an viele Journalisten geschickt. Der Politiker und Philosoph rechnet in diesem Buch mit den politischen Widersprüchen der vergangenen Jahrzehnte ab. Und er entwirft eine Programm, dass all die Probleme und Verluste des Fortschritts gar nicht mehr entstehen lass soll. Es war die zwischen zwei Deckel gepresste Agenda eines Bundeskanzlers Robert Habeck. Ihr Titel: „Von hier an anders.“

Seit dem 24. Februar, als russische Soldaten die ukrainische Grenze überquert und dort einen brutalen Krieg begonnen haben, ist tatsächlich alles anders. Aber nicht so, wie Habeck sich das vorgestellt hatte. Statt über den Ökostrom-Ausbau redet Deutschland über Kohlereserven, statt über E-Mobilität über Tankrabatte, statt über energetische Gebäudesanierung über Flüssiggasimporte.

Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke?

Auch seit Langem entschiedene Fragen werden wieder diskutiert. Brauchen wir eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke? Kann Deutschland angesichts der russischen Aggression auf eine billigen und im eigenen Land verfügbaren Energieträger wie Braunkohle verzichten? Und was ist eigentlich mit Fracking?

Der Krieg wirbelt die deutsche Energiepolitik durcheinander und Habeck steht im Auge des Orkans. Er muss nun all die losen Enden festhalten, damit sie ihm nicht um die Ohren fliegen. Und er muss sie in den nächsten Monaten wieder zusammenbinden und zwar im Idealfall so, dass die Energieversorgung gesichert und nicht zu teuer wird, und gleichzeitig der Klimaschutz nicht völlig unter die Räder gerät.

Es ist ohne Zweifel die größte Herausforderung im politischen Leben Robert Habecks, und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er nicht alle Probleme auf einmal lösen kann. Einerseits. Andererseits haben die Abhängigkeit von Russland und die drohenden Versorgungsengpässe bei Lieferboykott auch die letzten Zweifler an der Energiewende verstummen lassen.

Selbst FDP-Chef Christian Lindner, der in der Vergangenheit gerne über die Grenzen der Physik referierte, sobald es um Ökostrom ging, bezeichnet erneuerbare Energien jetzt als „Freiheitsenergien“.

Mehr Unterstützung für die Energiewende und den zuständigen Minister geht eigentlich nicht, und so gesehen ist die aktuelle Energiekrise auch Habecks größte Chance. Um sie zu nutzen hat er sich eine Doppelstrategie überlegt, die sich auch in seiner Reiseroute widerspiegelt. In einem ersten Schritt will er die Energieunabhängigkeit von Russland sicherstellen, weshalb er nach Katar fährt. In einem zweiten Schritt will er die Umstellung der Energieproduktion auf grünen Wasserstoff ankurbeln, daher der Besuch in Abi Dhabi.

Schon Schritt eins ist eine Herkulesaufgabe. 35, 50, 55 – das sind die Zahlen, die die Abhängigkeit von Wladimir Putin beschreiben. 35 Prozent des Rohöls, 50 Prozent der Kohle und 55 Prozent des Erdgases hat Deutschland zuletzt aus Russland gezogen. Angeblich sind die Prozente seit Kriegsausbruch rapide gefallen, aber Habeck lässt sich da ungern in die Karten schauen. Was er verrät, ist sein Ziel: Auf Null sollen die Energieimporte aus Putins Reich nach seinem Willen perspektivisch sinken. Vor allem beim Gas wird das schwer. Die USA sollen helfen und Norwegen, beide Länder hatte Habeck zuletzt besucht. Und eben Katar.

Bittsteller im Emirat

In dem Emirat tritt der deutsche Minister als Bittsteller auf, so lange Russland als zuverlässiger Lieferant galt, war das Interesse der deutschen Energiewirtschaft an katarisches Flüssiggas (LNG) gering. Und auch deutsche Regierungsvertreter in den vergangenen Jahren lieber einen Bogen um den Zwergstaat gemacht. Angesichts der prekären Lage vieler Arbeitsmigranten auf den Großbaustellen Dohas wollte sich kein deutscher Minister gerne an der Seite der autokratische Herrscherfamilie Al-Tani zeigen.

Habeck hat in der aktuellen Lage keine Wahl, die deutsche Wirtschaft hatte ihn gebeten, bei den Scheichs Gutwetter machen, damit die Unternehmen einen Zugang zu den riesigen Gasreserven bekommen. Habeck hat sich zu der Charmeoffensive bereiterklärt, aber womöglich übertreibt er die Sache ein bisschen.

In der Kritik

Nach den Unterredungen mit Ministern und Emir werden Fotos öffentlich, auf denen es aussieht, als verbeuge sich der deutsche Vizekanzler vor den Autokraten. Die BILD-Zeitung, die seit Wochen für einen vollständigen Boykott russischer Energie trommelt, macht daraus einen Skandal, und wirf Habeck eine „demütige“ Bittstellerpose vor dem „Terror-Scheich“ vor.

Habeck dürfe nicht „als Bittsteller mit Knicks erscheinen“, sondern müsse deutlich machen, welche Werte er vertrete, spottet CDU-Generalsekretär Czaja. Deutschland dürfe nich „von einer Abhängigkeit in die nächste“.

Habeck ficht diese Kritik nicht an, er bewertet die in Katar beschlossene Energiepartnerschaft als „großen Erfolg“. Auch mitreisende Wirtschaftsvertreter wie RWE-Chef Martin Krebbers oder ThyssenKrupp-Chefin Martina Merz äußern sich anerkennend.

Baerbock Habeck

Grünes Spitzenduo: Annalena Baerbock und Robert Habeck (Archivbild)

Überhaupt fällt auf, wieviel Lob der grüne Minister aus der Wirtschaftsdelegation bekommt. Die Unternehmenslenker haben lange gefordert, dass die Politik Ansagen macht und Rahmenbedingungen für den nachhaltigen Umbau der Wirtschaft definiert.

Der frühere Minister Peter Altmaier (CDU) blieb diese Orientierung schuldig, bei Habeck haben die Unternehmensvertreter den Eindruck, dass es vorangeht. Habeck selbst sieht für sich die Rolle als jemand, der Räume öffnet, und eine Richtung vorgibt. Beschreiten müssten die Unternehmen den vorgezeichneten Weg dann aber selbst. Dass sie dazu bereit sind, zeigt sich am Montagnachmittag in Abu Dhabi, wo gleich fünf Vorverträge für die Lieferung und von Wasserstoff und Ammoniak unterzeichnet werden. Beide Gase lassen sich aus Ökostrom herstellen und gelten als Schlüssel für eine klimaneutrale Industrie. Abu Dhabi will liefern, Deutschland will abnehmen, im Rahmen der nun beschlossene Kooperation sollen technische und logistische Fragen geklärt werden.

Nicht im Ansatz genug Ökostrom

Ein Problem allerdings bleibt: Zwar bekennen sich die Vereinigten Arabischen Emirate zu einer kohlenstofffreien Zukunft, aber sie verfügen trotz idealer Voraussetzungen nicht im Ansatz über genügend Ökostrom, um die deutschen Bedarfe an grünem Ammoniak und Wasserstoff zu befriedigen. Für den Anfang werden die begehrten Stoffe daher aus gewöhnlichem Erdgas hergestellt, und das bei der Produktion anfallende CO2 wird in den Boden gepresst. Die Fachwelt spricht von „blauem“ Wasserstoff und Ammoniak, Kritiker von einer Mogelpackung.

„Es ist ein erster Schritt“, sagt Habeck. „Das Ergebnis ist nicht perfekt, aber es ist allemal besser, als ihn nicht zu gehen.“ Vier Wochen nach Beginn des Krieges in der Ukraine, fasst das die Politik der Bundesregierung eigentlich ganz gut zusammen.

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