„Wir sind ein Ort für alle Kölner”Ditib will Muezzinrufe bei der Stadt beantragen

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Ditib-Moschee in Köln-Ehrenfeld (Symbolbild)

  • Ditib-Mitarbeiter Zekeriya Altug und Murat Sahinarslan sprechen über die Pläne für die Ehrenfelder Moschee.
  • Die Gemeinde räumt Fehler bei der Eröffnung der Moschee im Jahr 2018 ein, die das Verhältnis von Gemeinde und Kommune belastet haben.
  • Die Ditib will künftig mehr Imame einsetzen, die in Deutschland ausgebildet wurden.

Köln – In der Kölner Zentralmoschee der Ditib in Ehrenfeld soll künftig über Lautsprecher zum Gebet gerufen werden. Das kündigten zwei leitende Funktionäre der Ditib im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ an. „Wir haben nach der Ankündigung die Stadt kontaktiert und Ende Oktober dann die Antragsformulare angefordert. Inzwischen sind die Anträge bearbeitet – noch in dieser Woche wollen wir sie einreichen“, sagte Murat Sahinarslan, Direktor des Moscheeforums, der Zeitung. Mit den anderen Kölner Moscheegemeinden sei die Ditib im Gespräch. Jede Gemeinde werde selbst entscheiden, ob sie einen Antrag einreicht, um an dem zunächst auf zwei Jahre befristeten Modellprojekt der Stadt Köln teilzunehmen. Der Vorstoß von Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker, in Köln Gebetsrufe zu ermöglichen, habe ihn „überrascht“, sagte Zekeriya Altug, Ditib-Abteilungsleiter für Gesellschaft und Zusammenarbeit der Zeitung. „Für unsere Gemeinde ist das sehr positiv. Der Vorstoß der OB wurde als Zeichen des Respekts und der Würdigung der muslimischen Teilhabe zur Stadtgesellschaft angesehen.“ Dass der Gebetsruf jetzt auch in der Großstadt Köln möglich sei, bezeichnete Altug als „ein Zeichen dafür, dass die Gesellschaft pluraler und vielfältiger geworden ist“. Die Stadt Köln hat für ein Modellprojekt Gebetsrufe genehmigt. Was dachten Sie, als sie davon erfahren haben? Murat Sahinarslan: Für unsere Gemeinde ist das sehr positiv. Muslime leben seit 60 Jahren hier und es geht auch ganz gut ohne Gebetsrufe. Aber es gibt auch viele Beispiele, hier in der Nähe zum Beispiel in Düren, wo die Gebete seit 30, 35 Jahren ausgerufen werden – und wo es zu keinerlei Konflikten gekommen ist. Für uns war es eine Überraschung, dass es jetzt doch relativ zeitnah kam – und es freut uns natürlich.

Sie waren also überrascht vom Vorstoß von Oberbürgermeisterin Henriette Reker? 

Zerkeriya Altug: Frau Reker war am 3. Oktober zum Tag der offenen Moschee bei uns. An dem Tag wurde die Idee nicht thematisiert. Ein paar Tage später kam dann die Pressemeldung. Insofern hat es uns schon überrascht. Der Schritt an sich ist aber nicht überraschend. Denn der Gebetsruf ist im Namen der Religionsfreiheit ein verfassungsmäßiges Recht. Daher erlaubt nicht die Oberbürgermeisterin die Gebetsrufe, sie schafft lediglich den Rahmen für die Ausübung eines Grundrechts, das leider noch nicht Normalität geworden ist.

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Wird die Kölner Ditib einen Antrag auf Gebetsrufe stellen?

Sahinarslan: Wir haben nach der Ankündigung die Stadt kontaktiert und Ende Oktober dann die Antragsformulare angefordert. Inzwischen sind die Anträge bearbeitet – noch in dieser Woche wollen wir sie einreichen.

Nur für die Ehrenfelder Gemeinde oder für alle sechs Ditib-Moscheen in Köln? Sahinarslan: Die Anforderung ist, dass jede Gemeinde es für sich macht. Ich mache es für die Zentralmoschee in Ehrenfeld. Mit den anderen, nicht nur Ditib-Gemeinden, sind wir im Gespräch.

Zeichen des Respekts

Wie ist die Resonanz?

Altug: Der Vorstoß der OB wurde als Zeichen des Respekts und der Würdigung der muslimischen Teilhabe zur Stadtgesellschaft angesehen. Jetzt schaut jede Gemeinde, ob ein öffentlicher Gebetsruf für sie wünschenswert ist. Man verzichtet ja nicht auf einen Gebetsruf, denn meist wird nur innerhalb der Moscheen zum Gebet gerufen, auch aus Respekt vor den Nachbarn, was dem Zweck des Gebetsrufes gewissermaßen widerspricht. Der Sinn ist ja eigentlich, dass die Menschen von außen hörbar in die Moschee eingeladen werden. Dass der Gebetsruf jetzt nun auch in Köln öffentlich möglich ist, ist ein Zeichen dafür, dass die Gesellschaft pluraler und vielfältiger geworden ist. Ob ein Gebetsruf vor Ort in den Veedeln möglich ist, prüft jede Gemeinde für sich.

Für Ehrenfeld werden die Muezzin-Rufe aber sicher kommen.

Sahinarslan: Ja, wir haben gestern über die technischen Voraussetzungen gesprochen, die wir erfüllen können. Es wird ja per Lautsprecher zum Gebet gerufen. Mit dem Antrag beginnt erstmal ein Prozess. Wann es soweit ist, können wir noch nicht sagen.

Ditib will mit Anwohnern diskutieren

Es wird auch Kritik von Nachbarn geben. Wie werden Sie sie einbinden?

Sahinarslan: Wir werden das transparent kommunizieren, so wie wir ohnehin in gutem Kontakt sind. Wir bieten Moscheeführungen in vielen Sprachen an, Kunst- und Kulturveranstaltungen, Tage der offenen Moschee. Auch die Impfaktion in der Moschee hat gezeigt: Wir sind ein Ort für alle Kölner. So wie der Gebetsraum für jeden an sieben Tagen in der Woche offensteht, so sind wir als Moschee-Forum mit unseren Angeboten für alle Kölner da. Für die Gebetsrufe werden wir einen Infoflyer erstellen. Vor dem ersten Ruf werden wir einladen – und auch eine Woche danach – um alle Fragen aufzunehmen, den Rahmen zu diskutieren.

Altug: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Aufregung vor dem ersten Gebetsruf groß ist, es nach der Umsetzung aber eher als Bereicherung angesehen wird. Es wird irgendwann als Normalität des Alltags wahrgenommen und akzeptiert. Berücksichtigen muss man natürlich, dass die Symbolwirkung durch die Ehrenfelder Moschee besonders groß ist. Viele Menschen haben Bedenken, mit denen werden wir reden. Manche betrachten das ideologisch – auch damit müssen wir umgehen.

Nach dem Vorstoß der OB hat es viel Kritik gegeben. Es sei naiv, der Ditib, die über die Religionsbehörde Diyanet mit dem türkischen Staat und Präsident Erdogan verbunden ist, im Zeichen der Toleranz diese Möglichkeit zu eröffnen.

Altug: Kritik erleben wir jedes Mal. Als die Moschee gebaut wurde, gab es Kritik. Muslime und Moscheen werden oft der Intransparenz bezichtigt. Auf der anderen Seite werden auch die Schritte in Richtung Öffnung oft misstrauisch beäugt, manchmal erschwert oder sogar verhindert, zum Beispiel, wenn Gemeinden aus den Hinterhöfen raus und mit ihren Moscheen sichtbar Teil der Stadtgesellschaft sein wollen. Die Beheimatung der Muslime kann nur gelingen, wenn sie mit ihrer ganzen Identität hier angenommen werden. Grundsätzlich ist Kritik aber gut. Wenn sie in ideologische Muster verfällt, oder instrumentalisiert wird, ist sie kontraproduktiv.

Aber dass die Imame aus der Türkei geschickt werden und der türkische Staat über seine Religionsbehörde Einfluss auf die Ditib nimmt, ist keine ideologische Kritik, oder?

Altug: Diese Kritik ist, wie Sie selbst eben festgestellt haben, vermehrt in den vergangenen vier, fünf Jahren aufgekommen – auch aufgrund von diplomatischen Verwerfungen. Das ist eine politisierte Debatte. Es stimmt, dass die Ditib ihre Imame vorwiegend aus der Türkei bezieht – das ist historisch gewachsen und noch gibt es keine Alternative. Daran arbeiten wir – so haben wir im vergangenen Januar 2020 mit der Imam-Ausbildung in Deutschland begonnen. Zukunftsfähig ist das Modell der entsandten Imame nicht, das sehen wir auch so. Es ist die Vergangenheit und auch die Gegenwart – die Zukunft soll anders aussehen. Wir wollen die aus der Türkei entsandten Imame in den kommenden Jahren schrittweise durch in Deutschland sozialisierte und ausgebildete Imame ersetzen. Wir orientieren uns klar in Richtung deutsche Gesellschaft, wir sind eine deutsche Religionsgemeinschaft.

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Würden Sie sagen, Sie sind unabhängig vom türkischen Staat?

Altug: Ich bin in einer Leitungsfunktion bei der Ditib und greife im Bedarfsfall in theologischen Fragen auf die Kompetenz der Diyanet zurück. Tagesaktuell und grundsätzlich entscheiden wir hier vor Ort. Das ist meine innere Wahrnehmung – ich weiß, dass die äußere Wahrnehmung bisweilen eine andere ist. Auch der müssen wir uns stellen. Wir müssen aktiv etwas tun, um diese zu ändern.

Noch werden die Predigten mehrheitlich auf Türkisch gehalten – ist das zeitgemäß?

Altug: Wir sind eine bekennend zweisprachige Gemeinde. Für die erste und zweite Generation der Gastarbeiter entsprach die Predigt in der Heimatsprache der Lebensrealität. Aktuell ist das noch wichtig für diese Generation und auch zur Religionsvermittlung, weil die Terminologie in der deutschen Sprache noch Entwicklungsbedarf hat. Mit zunehmender Anzahl deutschsprachiger Imame nimmt der Anteil der deutschen Sprache in der Gemeinde stetig zu. Zukünftig wird sie die überwiegende Sprache werden.

Sahinarslan: Die Predigten zum Freitagsgebet, aber auch zu Hochfesten – übrigens durch unsere Predigtkommission hier verfasst – werden seit 2007 zweisprachig auf Türkisch und Deutsch vorgetragen und sind im Internet nachzulesen.

„Kommunikation war sehr schlecht”

Nach der Eröffnungsfeier der Ehrenfelder Moschee 2018 hat es viel Kritik an der Ditib gegeben. Aufgetreten war der türkische Staatspräsident Erdogan, während die Kölner Oberbürgermeisterin Reker und der damalige NRW-Ministerpräsident Laschet zunächst nicht und schließlich sehr kurzfristig eingeladen wurden. Was ist da schief gelaufen?

Altug: Die Kommunikation war von unserer Seite aus sehr schlecht. Den Schuh müssen wir uns anziehen. Auch die kurzfristige Planung zur Eröffnung war kontraproduktiv. Wir hatten uns erhofft, bei der Eröffnung das Bild einer bunten Gesellschaft zu präsentieren. Die Zentralmoschee soll für eine türkisch-muslimische Community stehen, die sich als Teil von Köln versteht und einbringt. Die Moschee steht nach wie vor für dieses Bild, sie steht für Ehrenfeld und Köln.

Zur Person

Murat Sahinarslan ist bei der Ditib der Direktor des  2020 gegründeten Moscheeforums, mit dem der Kontakt nach Ehrenfeld verbessert werden soll.

Zekeriya Altug ist bei der Ditib Abteilungsleiter für Gesellschaft und Zusammenarbeit.

Wie konnte es dazu kommen, dass die Spitzen von Stadt und Land an diesem Tag nicht repräsentiert waren?

Altug: Die Veranstaltung wurde sehr kurzfristig geplant. Kommunikationspannen sind da leider programmiert. Das Problem war, dass wir eine Einladung sowohl an Bundespräsident Steinmeier als auch an den türkischen Präsidenten Erdogan verschickt hatten. Herrn Steinmeier hatten wir gebeten, uns einen Termin vorzuschlagen. Wir hatten anschließend von Herrn Erdogan kurzfristig eine Zusage für Ende September im Rahmen seines Staatsbesuches erhalten. Daraufhin haben wir die Eröffnung in dieser Woche geplant, auch mit der Hoffnung, dass sie im Rahmen dieses Staatsbesuches als gemeinsame Veranstaltung eingeplant sei. Innerhalb von zwei Wochen haben wir versucht, die Eröffnung auf die Beine zu stellen. Im Nachhinein war das ein Fehler, auch weil wir merkten, dass unsere Annahme falsch war. Behauptungen mancher Protagonisten jedoch, sie seien nicht eingeladen worden, sind schlichtweg falsch. Dass die Einladung jedoch sehr kurzfristig erfolgte und daher auch bei zum Beispiel Oberbürgermeisterin Reker zurecht Irritationen entstanden, bedauern wir. Im Nachhinein betrachtet wurde die Eröffnung leider zu einem Politikum, was wir so nicht wollten.

„Wir reden vom gleichen Gott”

Es gibt auch Bedenken gegen die Rufe zum Gebet, weil das Glaubensbekenntnis Teil des Gebetsrufes ist. Das ist etwas anderes als Kirchenglocken, die läuten.

Altug: Natürlich hat der islamische Gebetsruf einen Inhalt. Aber dieser Inhalt ist bis auf einen Satz deckungsgleich mit denen der christlichen und der anderen monotheistischen Glaubensbekenntnisse. Wenn wir sagen, Gott ist groß, reden wir vom gleichen Gott. Wir wiederholen nichts anderes als das erste Gebot im Christentum. Wenn wir sagen: Mohammad ist sein Gesandter, definieren wir uns als Gemeinde. Jedes Symbol ist mit Inhalten verbunden, auch das Glockenläuten. Es geht immer in irgendeiner Weise um eine Verkündung. Wir leben nicht in einer laizistischen, von der Religion befreiten Gesellschaft, sondern in einer säkularen Gesellschaft, die allen Religionen den gleichen Raum bietet. Die jüdische, christliche und islamische Verkündung ist Teil der gesellschaftlichen Realität, die vielfältig ist. Und das ist auch Köln, mit mehr als 100 Glaubensgemeinschaften und mehr als 100 verschiedenen Ethnien.

Nicht jeden Fehler aufbauschen

Was macht Sie optimistisch, dass sich das Verhältnis zwischen Ditib und der Mehrheitsgesellschaft entspannt?

Altug: Wir müssen schaffen, dass darauf geschaut wird, was die Ditib hier sagt, tut und leistet. Wenn wir eine Versachlichung und Entpolitisierung der Debatte in Deutschland hinbekommen, anstatt jeden einzelnen Fehler aufzubauschen, haben wir viel gewonnen. In den letzten Jahren haben wir Fehler gemacht, zu denen wir immer wieder Stellung beziehen und entsprechende geeignete Maßnahmen ergreifen. Aber auch in der Politik hat sich seit 2015 abgezeichnet, dass der Rechtspopulismus erstarkt, von dem sich auch die etablierten Parteien treiben ließen. Auf muslimischer Seite ist Skepsis und Angst entstanden.

Viele, vor allem junge Leute denken: Egal, was wir tun, wir werden doch nicht akzeptiert. Das führt zu Demotivation und Rückzug. Aber in diesem Jahr haben wir auch etwas anderes erlebt: Sowohl Corona, als auch die Flutkatastrophe haben uns gezeigt, dass wir alle in einem Boot sitzen und dass wir zusammen stärker sind. Es entstand ein Gefühl der Gemeinsamkeit. Das liegt auch daran, dass sich Politik nicht vor den Karren der Rechten spannen ließ, sondern sich auf Sachthemen und die Bedarfe der Menschen konzentrierte. Das ist eine für die Zukunft gute Vorgehensweise. Hierzu hat übrigens auch die Ditib sehr viel beigetragen. Es ist also wichtiger, was wir hier als Ditib machen und nicht, was der türkische Staatspräsident tagesaktuell sagt. Daran, an unseren Handlungen und Leistungen sollten wir gemessen werden.

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