Fünf-Stunden-MarathonKölner Oper startet mit Premiere von „Les Troyens“ fulminant

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Szene aus "Les Troyens". 

Köln – Am Ende des vierten Aktes von „Les Troyens“ wird es tristanesk: „Ô nuit d’ivresse et d’extase infinie!“ singen Dido und Aeneas  in ihrem Liebesduett – „O Nacht der Trunkenheit und der unendlichen Ekstase!“ Der Text hat vielleicht etwas, aber die  Musik des Hector Berlioz hat mit Wagner wenig bis nichts zu tun: keine Chromatik, keine Leitmotive, kein Zerfließen, sondern schönstes formbewusstes Belcanto-Melos über magischen Orchesterfarben.

Auch sonst wird es in dieser Szene magisch: Die Rundbühne, auf der das Gürzenich-Orchester platziert ist, dreht sich auf einmal im Uhrzeigersinn, während sich der sie umschließende leuchtende Rundsteg, auf dem sich der größte Teil der Opernhandlung begibt, gegen die Uhr bewegt. Die Ekstase setzt eben eine ganze Welt in Bewegung, bringt das vermeintlich Festgefügte  zum Tanzen.

Das ist eine starke, atmosphärisch dichte Szene in Johannes Eraths Inszenierung, mit der die Kölner Oper im Saal  I des Deutzer Staatenhauses in die neue Saison gestartet ist.   GMD François-Xavier Roth am Pult setzt damit seinen  Berlioz-Zyklus am Haus fort (es fehlt jetzt noch „La damnation de Faust“) und erfüllt sich damit zugleich, wie man hört, einen Herzenswunsch.

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Götter als trostlose Truppe

Den Namen Wagner ruft übrigens auch die schiere Länge dieser „Grand-Opéra“ herbei   – fünf Stunden mit zwei Pausen, da fällt einem doch gleich „Die „Götterdämmerung“ ein. Eraths Regie tut das Ihre hinzu, um auf Anhieb  die Parallele gerade zum „Ring“ zu stärken: In Berlioz’ Vergils „Aeneis“ folgendem Libretto tauchen die  Götter nicht auf, in Köln als stummes Personal schon. Das ist indes eine lächerliche bis trostlose Truppe, die fast schon an Offenbachs Mythentravestien erinnert. Die  nach Karthago geflüchteten Trojaner müssen es also selbst richten – was sie mehr schlecht als recht tun. Der an Aeneas ergangene göttliche Auftrag, Rom zu gründen, hängt jetzt  allerdings dramaturgisch in der Luft.

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Auch sonst geizt Erath nicht mit ironischen Streiflichtern: Plantschen in einer Badewanne  – das ruiniert jede Erhabenheit. Und wenn Kassandra in einer Übersprungshandlung Hüppekästchen springt oder Dido als  derangierte Alkoholikerin auf die Bühne wankt, dann ist die szenische Anmutung trotz der tragischen Rahmenkonstellation doch eher heiter.

Beim weiteren Suchen nach einer zentralen Idee der Inszenierung wird man so leicht nicht fündig. Auf Antikisierung verzichtet Erath, die Karthager zum Beispiel  formieren sich eher zu einer  modern anmutenden Strand- und Spaßgesellschaft.  Sonst aber  gibt es keine greifbaren   Aktualisierungen, auch keine Anspielungen auf den Ukraine-Krieg. Weil die aber wohl ziemlich peinlich wären, ist diese relative Einfallslosigkeit vielleicht gar nicht mal so übel.

Es bleibt der erkennbare Wille, via  Platzierung  des Orchesters in  der Mitte des Rundstegs  der Musik die Hauptrolle zu überlassen  – auch auf die Gefahr hin, dass Figuren und Dinge auf dem Steg teils wie auf dem Kofferband im Flughafen erscheinen und die Handlung in der szenischen Auflösung zu kurz kommt.

Sie gefriert indes von sich aus immer wieder zum Tableau, tritt dank der großen Choreinlagen auf der Stelle. Die Nähe hie zum Ballett, da zum Oratorium ist unausweichlich, soll die Regie sie wirklich gewaltsam bekämpfen wollen?

Außerordentliche Kraft und Eindringlichkeit

Das Gelingen lastet somit in beträchtlichem Umfang auf Maestro Roth und dem Gürzenich-Orchester – die ihre Chancen in jeder Hinsicht nutzen. Die instrumentalen Valeurs und Feinheiten der Partitur, die solche Absonderlichkeiten wie eine Ophikleide und Sax-Hörner fordert, die Stimmungs- und Stilwechsel  – all das wird mit außerordentlicher Kraft und Eindringlichkeit zum Leuchten gebracht.

Über die Maßen herrlich etwa das trauernd-weitgespannte Klarinettensolo im ersten Akt. Und auf einmal sitzt, weil es in Surround-Qualität auch von hinten und von der Seite beschallt wird, das Publikum in jener Mitte, in der bislang das Orchester saß. Der erweiterte Chor agiert, stärkstens gefordert,  mit  markerschütternder Durchschlagsintensität, aber auch suggestiv-erfülltem Sotto Voce.

Stückbrief "Les Troyens"

Musikalische Leitung: François-Xavier Roth Inszenierung: Johannes Erath Bühne und Kostüme: Heike Scheele Darsteller: Isabelle Druet, Insik Choi, Enea Scala, Lucas Singer, Giulia Montanari, Veronica Simeoni,  Adriana Bastidas-Gamboa, Nicolas Cavallier u.a. Dauer: Fünf Stunden inkl. zwei Pausen Weitere Aufführungen:  28. September, 1., 3., 6., 9. , 12., 15. Oktober (MaS)

Aus der großen Schar der Sänger-Darsteller können an dieser Stelle leider nur die Protagonisten gewürdigt werden. Die Bilanz ist durchmischt: Enea Scala in der Partie des übergriffig-selbstgefälligen Titelhelden imponiert als tenoraler Strahlemann, der manchmal  zu stark powert und dann auch ein wenig die Belcanto-Qualität vermissen lässt. Insik Choi als Chorebus singt schön, aber zu flächig-eintönig, was im Kontrast zu seiner Partnerin, Isabelle Druet als Kassandra, sofort auffällt.

Die bringt die  Verzweiflung der Figur über die Erfolglosigkeit ihrer Warnungen mit lodernder Explosivität herüber, beweglich und dramatisch, satt und tragend bis in die tiefe Altlage. Den Lorbeer der Bestleistung muss sie sich mit Veronica Simeoni als Dido teilen, die erfolgreich mit ihrer großartigen Stimme wettmacht,  was  die Inszenierung der Gestalt schuldig bleibt. Einhelliger und nicht nach Langeweile klingender Beifall zu später Stunde!

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