„Idomeneo“-Premiere an der Kölner OperMusik und Szene stehen sich zuweilen im Wege

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Szene aus der Oper „Idomeneo“

Szene aus der Oper „Idomeneo“

Bei Regisseur Floris Visser ist Idomeneo mehr Opfer als Täter, ein schwer traumatisierter Kriegsveteran, der den verstörenden Bildern in seinem Kopf hilflos ausgeliefert ist.

Bei Lichte besehen ist Idomeneo, der König von Kreta, eigentlich ein Totalausfall, wie das in royalen Dynastien zuweilen vorkommt. Bei der Heimkehr aus dem Trojanischen Krieg gerät er in einen Seesturm und verspricht dem Meeresgott Neptun als Preis für seine Rettung das Leben des ersten Menschen, der ihm auf heimatlichem Boden begegnet. Es geht denn auch prompt schief, denn dieser erste Mensch ist sein eigener Sohn Idamante.

Den fatalen Fehler einzugestehen, fehlt Idomeneo zweieinhalb Akte lang der Mut. Stattdessen versucht er, Idamante auf dem Seeweg in Sicherheit bringen, obwohl er doch weiß, dass in den Wellen bereits der zürnende Gott wartet. Schließlich muss der Sohn selbst den Vater im Sinne der Staatsraison an das Opfer gemahnen, das aber in letzter Sekunde verweigert wird: Idomeneo, so verkündet eine gebietende Stimme vom Himmel, soll abdanken und stattdessen Idamante die Krone übergeben. Und das ist für alle Beteiligten auch zweifellos das Beste.

Idomeneos Weg führt unausweichlich in die Psychiatrie

Man kann die Figur des scheiternden Königs natürlich auch ganz anders sehen, seine Geschichte ganz anders erzählen - so wie es der niederländische Regisseur Floris Visser in seiner Kölner Neuinszenierung der Mozart-Oper tut. Sein Idomeneo ist mehr Opfer als Täter, ein schwer traumatisierter Kriegsveteran, der den verstörenden Bildern in seinem Kopf hilflos ausgeliefert ist. Sein Weg führt unausweichlich in die Psychiatrie: eine Gummizelle, die sich auf der Bühne im Kölner Staatenhaus immer wieder vor die bildbeherrschende mediterrane Felsenlandschaft schiebt.

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Floris Visser lässt die Handlung in der Rückschau Idomeneos ablaufen, der die gesamte Oper hindurch als wahnsinnig gewordener Greis über die Bühne torkelt. Gleichfalls stets gegenwärtig ist eine schwarz gekleidete, drohend das Beil schwingende Rächergestalt - es muss wohl Neptun sein, der auf sein Opfer wartet, auch wenn die Figur eher wie ein unter den Kriegsfolgen leidender Desperado wirkt.

Vissers Inszenierung folgt eher einer Logik der inneren Bilder als der äußeren Handlung. Der Trojanische Krieg ist vorbei, aber die Erinnerung an ihn bleibt so belastend, dass man darüber nicht zur Gegenwart gelangt. Gefangenentransporte, Erschießungskommandos, heimkehrende Soldatensärge - der Regisseur trägt eine Fülle jener ikonischen Bildmotive zusammen, die das kollektive Kriegsgedächtnis geformt haben.

Der Chor ist in „Idomeneo“ so reich und mit so grandioser Musik bedacht wie in keiner anderen Mozart-Oper

Nur: Aus der Perspektive der Oper ist das alles Vorgeschichte, deren unverminderte Präsenz die Inszenierung zunehmend überfrachtet. Nie kann man die Aufmerksamkeit ungeteilt den singenden Personen zuwenden, weil sich ständig im Hintergrund Subtexte und Kommentare materialisieren. Für die Kölner Opernstatisterie ist diese Inszenierung fraglos ein Fest, aber leider stiehlt sie dabei dem Chor die Schau, den der Regisseur überwiegend in blockhafter Flanken-Formation auf die Bühne stellt.

Das fällt um so mehr auf, als der Chor in „Idomeneo“ so reich und mit so grandioser Musik bedacht ist wie in keiner anderen Mozart-Oper. Chordirektor Rustam Samedov hat seine Sängerinnen und Sänger auf ein Klangprofil hin trainiert, das in den Farben stärker wirkt als in den Konturen, dessen weiche Fülle mit einer gewissen Schwere einhergeht - vielleicht auch eine Folge des weiten, zu den Seiten hin offenen Bühnenbildes von Frank Philipp Schlößmann.

Dirigent Rubén Dubrovsky hat in der vergangenen Spielzeit bereits Händels „Giulio Cesare“ geleitet. Dort gingen Musik und Szene bruchlos ineinander auf; hier hatte man eher den Eindruck, dass sie sich zuweilen im Wege standen: Während der Maestro in überwiegend maßvollen Tempi an Details der historischen Stilistik feilte, trieb der Regisseur seine Darsteller immer wieder in die szenische Verausgabung hinein.

Das mag einen gewissen sängerischen Überdruck erklären, der bei der Premiere immer wieder zu verzeichnen war, vor allem bei der wie üblich mit hohem Einsatz singenden und spielenden Anna Lucia Richter als Idamante: Die Höhe war im dramatischen Zugriff oft überöffnet, das Vibrato für eine junge Stimme deutlich zu groß. Im Schlussbild dagegen, wo sie dem Vater als größten Liebesbeweis ihr Leben überantwortet, entwickelte die Stimme eine sanfte Kraft und Tiefe, die ganz unmittelbar berührten.

Das Gürzenich-Orchester überzeugt mit schlankem, fokussiertem Klang

Sebastian Kohlhepp zeigt in der Titelrolle jene Verbindung von heroischer Wucht und Koloratur-Beweglichkeit, wie sie besonders die große „Fuor del mar“-Arie fordert. Für die zunehmende Pathologisierung der Figur fehlt ihm allerdings das gestische Repertoire; so schleppt er sich auf immer gleiche Weise händeringend dahin wie zu alter Väter Opernzeiten. Seinen Vertrauten Arbace, der in der Rahmenhandlung zum fürsorglichen Psychiater mutiert, gestaltet Anicio Zorzi Giustiniani mit der virilen Inbrunst eines Verdi-Tenors, was der stimmlichen Agilität nicht unbedingt nutzt.

In jeder Hinsicht vorzüglich singt wie gewohnt Kathrin Zukowski, die als gefangene trojanische Königstochter Ilia mit der Atriden-Prinzessin Elettra um Gunst und Hand Idamantes kämpft. Die schwebende Grazie der reich verzierten „Zeffiretti lusinghieri“ vermittelt sie ebenso hinreißend wie die schmerzhafte Intensität in „Padre, germani“. Der an sich wenig dankbaren Rolle der Elettra gewinnt die höhen- und koloratursichere Sopranistin Ana Maria Labin - auch durch überzeugende szenische Führung - differenzierte Züge jenseits der flachen Eifersuchts-Furie ab. Den kleineren Rollen geben John Heuzenroeder (Gran Sacerdote) und Lucas Singer (La Voce) alle erdenkliche Präsenz.

Das Gürzenich-Orchester überzeugt als gut geschulte Originalklang-Truppe mit schlankem, fokussiertem Klang und hoher Spielenergie; allenfalls in den großen Accompagnato-Rezitativen des Schlussaktes wurde bei den Streichern leichte Ermüdung erkennbar. Es ist eben doch ein langer Abend, auch durch Einschluss des sonst meist gestrichenen Schlussballetts, mit dem der Regisseur die Geschichte an ein versöhnliches Ende bringt: Idomeneo hat seine Ruhe unter einem Denkmal auf dem Soldatenfriedhof gefunden, wo Sohn Idamante mit dem Enkel um die Gräber tanzt.


Stückbrief

Musikalische Leitung: Rubén Dubrovsky Regie: Floris Visser Bühne: Frank Philipp Schlößmann Kostüme: Gideon Davey Choreographie: Pim Veulings Chorleitung: Rustam Samedov Licht: James Farncombe Mit: Sebastian Kohlhepp, Anna Lucia Richter, Kathrin Zukowski, Ana Maria Labin, Anicio Zorzi Giustiniani, John Heuzenroeder, Lucas Singer Chor: Chor der Oper Köln Orchester: Gürzenich-Orchester Köln Termine: 22., 25. Februar, 2., 8., 10., 13. März, Staatenhaus Saal 2, 3 1/2 Stunden

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