Vincent Boussards Inszenierung von Georg Friedrich Händels „Giulio Cesare in Egitto“ überzeugt musikalisch und ist eine glanzvolle Produktion.
„Giulio Cesare in Egitto“ an der Kölner OperOhne Botschaft, aber sehr unterhaltsam
Die bekannten Postkartenmotive sind zuverlässig versammelt: Malerische Pyramiden, Palmen im Wind, Meereswellen und helle Mondnächte. Ansonsten ist es ein reichlich bizarres Ägypten, in das der römische Feldherr Julius Cäsar anlässlich der jüngsten Kölner Opernpremiere einzieht: König Tolomeo fläzt sich im Nacktkostüm mit ausladendem Gemächt auf einem fahrbaren Bürostuhl, seine Schwester Cleopatra erscheint im schwarzen Anzug als machtbeflissene Karrieristin aus der Chefetage.
Der Heerführer Achilla ist eine blauhaarige Witzfigur, der Hofstaat eine Entourage aus Dosenbier schlürfenden Groteskgestalten. Am Anfang des langen Abends in der Kölner Oper hat es noch den Anschein, als wolle der französische Regisseur Vincent Boussard Georg Friedrich Händels „Giulio Cesare in Egitto“, diesen einsamen Höhepunkt der europäischen Barockoper, zur niederschwelligen Comedy-Veranstaltung verjuxen. Weit entfernt ist auch der militärische Hintergrund, vor dem sich die dreiaktige Liebes- und Intrigenhandlung vollzieht.
Politische Deutungen gibt es nicht
Dabei hätte sich Cäsars völkerrechtswidriger Ägyptenfeldzug des Jahres 48 vor Christus angesichts der geopolitischen Situation durchaus zu zwangloser Aktualisierung angeboten. Aber abgesehen von ein paar konspirativ hinter Pyramiden hervorlugenden Assassinen bleibt dieser Aspekt des Stoffes hier völlig außen vor.
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Was Boussard stattdessen interessiert, ist die Barockoper als Theateridee, als kalkulierter Wirkungsmechanismus, als Schauplatz von Affekten und Effekten. Mit gutem Grund holte er sich dazu (wie schon oft) den Modedesigner Christian Lacroix ins Boot, der ihm höchst fantasievoll zwischen 18. und 21. Jahrhundert changierende Kostüme entwarf; Luxusroben, die neben hohem Oberflächenreiz auch durch ihre besondere Haptik und Materialqualität wirken.
Insgesamt tut man der glanzvollen Produktion sicher kein Unrecht, wenn man sie als ein hochstilisiertes, aber weitgehend absichts- und botschaftsfreies Designtheater von hohem Unterhaltungswert einstuft. Frank Philipp Schlößmanns breiter, flacher, von einem Lichtstreifen eingefasster und nach hinten durch eine Projektionsfläche begrenzter Bühnenraum ist flexibel teilbar und in ständiger Verwandlung; das gibt dem schier endlosen Arienreigen den Anschein szenischer Beweglichkeit, auch wenn dabei im Grunde wenig geschieht und das, was geschieht, wenig besagt.
Kathrin Zukowski überzeugt als Cleopatra
Zum perfekten Timing im äußeren Ablauf kommen Andreas Grüters hochpräzise Lichtstimmungen, die auf raffinierte Weise überspielen, dass fast alle Arien frontal an der Rampe gesungen werden und ihre Wirkung fast ausschließlich aus der sängerischen Ausdruckskraft beziehen.
Das ist besonders eindrucksvoll bei Kathrin Zukowski zu erleben, die sich als Cleopatra vom eiskalten Machtkalkül über die sinnliche Verführung zur leidenschaftlichen Hingabe entwickelt. Dass der Regisseur den Facettenreichtum der Figur durch ein beigegebenes Statisten-Double unterstreicht, ist schlüssig, aber unnötig; die großartige Sängerin kann das alles selbst zeigen. Ihre Stimme ist leicht, aber von hoher Projektionskraft; die Verzierungen und eingelegten Spitzentöne in der großen „Se pietà“-Arie sind über alle Dekorationswirkung hinaus von packender Intensität.
Musikalische Leitung: Rubén Dubrovsky Inszenierung: Vincent Boussard Bühne: Frank Philipp Schlößmann Kostüme: Christian Lacroix Video: Nicolas Hurtevent Licht: Andreas Grüter Mit: Raffaele Pe (Cesare), Kathrin Zukowski (Cleopatra), Adriana Bastidas-Gamboa (Cornelia), Anna Lucia Richter (Sesto), Sonia Prina (Tolomeo), Matthias Hoffmann (Achilla), Gürzenich-Orchester Köln Weitere Termine: 10.,. 14., 16., 18., 21., 29., 31.05. im Staatenhaus Deutz, Saal 2
Dass Rafaele Pe in der Titelrolle kein vergleichbares Profil gewinnen kann, liegt vor allem an der Regie, die ihn nicht als charismatischen Helden, sondern als selbstverliebten Egomanen auf die Bühne stellt; der italienische Countertenor weiß dieses Konzept aber mit markanter Strahlkraft und bravourösen Koloraturen durchaus zu seinem Vorteil zu nutzen. Stark in der Trauer wie in der Empörung ist Adriana Bastidas-Gamboa als Cornelia; ihren unglücklichen Sohn Sesto lässt Anna Lucia Richter szenisch überzeugend und musikalisch differenziert zwischen Rachedurst und Zaudern schwanken.
Damit die Rache vollzogen werden kann, muss sich sein Todfeind Tolomeo am Ende selbst in Sestos Schwert stürzen – was diesem ansonsten deutlich ins Burleske überzeichneten Charakter eine interessante Tiefenwirkung gibt.
Sonia Prina singt die ursprünglich als Kastratenpartie angelegte Rolle mit extrem viriler Altfarbe; so entsteht bei aller Komik eine faszinierend gender-fluide Figur, wie sie ganz im Wesen der Barockoper liegt. Matthias Hoffmann ist ein vorzüglicher Achilla; Regina Richter und Sung Jun Cho werten die Comprimario-Partien von Nireno und Curio deutlich auf. Den Schlusschor singen sie gemeinsam auf einer Art Thespiskarren, der schon zu Beginn auf der Bühne stand – eine Auflösung ins Spielerisch-Artifizielle, die dem nicht eben glaubwürdigen Happy End des Stückes gut bekommt.
Für das hohe musikalische Gelingen der fußtrampelnd bejubelten Premiere sorgte Rubén Dubrovsky am Pult – kein traktatbelesener Originalklang-Motivator, sondern ein souverän führender Kapellmeister, der seine Tempo-Vorstellungen bis ins kleinste Detail hinein umsetzen kann. Das Gürzenich-Orchester macht seine Sache als stilsicheres Barockensemble ganz vorzüglich, unterstützt von einer wunderbar wendigen und einfallsreichen Continuogruppe.