Uni KölnSchriftsteller Thomas Meinecke tritt Stelle als Poetikprofessor an

Lesezeit 5 Minuten
Thomas Meinecke

Thomas Meinecke

Köln – Als Thomas Meinecke vor einigen Jahren die Frankfurter Poetik-Vorlesungen bestritt, verzichtete er auf eigene Worte. Die Eitelkeit, von sich zu erzählen, sagt Meinecke, liege ihm nicht. Stattdessen legte der Autor erst einmal eine Schallplatte auf. Und las darauf Texte über sich und seine Werke vor. Texte, die andere verfasst hatten, „darunter ziemlich viele Verrisse“. Aber auch wissenschaftliche Arbeiten. Eine neuseeländische Literaturwissenschaftlerin etwa hatte über ihn behauptet, er sei ein moderner Autor, der in der Postmoderne schreibe. Was Meinecke gefällt: „Ich bin ja ein Aufklärer und kein Vernebler.“

Nicht alle wollten Meineckes Angriff auf die heilige Autorenposition gutheißen. Manche wetterten, dafür solle er bitte kein Geld kriegen. „Dabei“, klagt Meinecke, „war das verdammt viel Arbeit!“ Nun tritt er erneut als Poetologe in eigener Sache an, übernimmt die TransLit-Poetikprofessur an der Universität zu Köln. Und hat noch immer ein Problem damit, von sich selbst zu erzählen. Obwohl genauso sein aktueller Roman heißt, nämlich „Selbst“, und der Autor auch selbst darin auftritt.

Meinecke will lebendigen Austausch

Aber die Kölner Dozentur sei dialogisch angelegt. „Ich konnte mir meine Gesprächspartner aussuchen, und es darf dann auch um deren Werk gehen.“ Einen lebendigen Austausch stellt sich Meinecke vor, bei dem er auch in Seminare gehen werde, die Studierenden kennen lerne und einen Abend lang natürlich auch wieder Musik auflegen werde.

Alles zum Thema Universität zu Köln

Das könnte Sie auch interessieren:

„Schreiben bedeutet, im Dazwischen zu arbeiten“ hat die Uni Meineckes akademisches Gastspiel übertitelt. Wobei dieses „Dazwischen“, präzisiert Meinecke, keinen Ort bezeichne, sondern eine Bewegung. Sein Schreiben bilde dann eine Art Scharnier zwischen angeblich feststehenden Punkten. Kurz, es verbindet zwei zuvor unverbundene Dinge und versetzt sie damit sie in Bewegung.

Feste Identitäten, ob geschlechtliche, fiktionale, historische oder reale, geraten auf diese Weise in seinen Romanen ins produktive Wanken. Zum ersten Mal hatte er diese Methode in seinem zweiten, und bis heute erfolgreichsten Roman „Tomboy“ (1998) angewendet, in dem lesbische Doktorandinnen, bisexuelle Tennisspielerinnen, feministische Arzthelfer und katholische Transsexuelle Judith Butlers (damals noch fast neuen) Theorieklassiker „Das Unbehagen der Geschlechter“ in der behaglichen Gegend zwischen Heidelberg und Mannheim durchleben und diskutieren.

„Feminismus geht es mich auf jeden Fall was an“

„Wenn man sich damals als heteronormierter Mann im Feminismus zu Wort gemeldet hat“, sagt Meinecke, „war das noch erklärungsbedürftig. Viele haben gesagt: Du musst ja pervers sein, das sollen doch die Frauen machen. Aber ich habe immer gedacht, als Angehöriger des Verursachergeschlechts dieser Problematik geht es mich auf jeden Fall was an.“

Bleibt die Frage, wie man sich dann äußert. Bei Tomboy überließ der Autor seinen weiblichen Figuren den Diskurs. Woraufhin Meinecke aber erst recht als Gesprächspartner gefragt war. „Ich wurde auf Tagungen eingeladen, wo ich beobachten konnte, wie sich die Gender Studies zu Queer Studies, wo inter- oder auch transsexuelle Menschen darüber redeten, wie es das war, als ihnen der erste Bart wuchs. Da habe ich begriffen, was für ein Riesenfeld das geworden ist.“ Wobei ihm Feminismus als Oberbegriff immer noch am liebsten sei, schließlich habe mit der Frauenbefreiung alles angefangen.

In der Tagespolitik angekommen

Weshalb Meineckes auch in seinem neuen Roman, „Selbst“ bis ins 19. Jahrhundert zurückgeht, bis zur Romantikerin Bettina von Arnim. An der könne man gut zeigen, wie gerade aus der Marginalisierung heraus– Frauen sollten keine Romane schreiben, weil sie sonst verrückt würden – neue, moderne und aufregende Formen entstünden. „Verbote entfesseln die großartigsten und komplexesten Signifying-Techniken, also Formen, in denen mit Uneigentlichkeiten gearbeitet wird. Dafür hege ich eine totale Bewunderung. Weshalb afroamerikanische und schwule Männer und eben die Frauen mein Denken sehr geprägt haben.“

Gerade weil er in den vergangenen 20 Jahren noch viel dazugelernt habe, kehrt Meinecke in „Selbst“ noch einmal zu den Themen von „Tomboy“ zurück. Und vielleicht auch, weil es derzeit einen rechten Backlash gegen politische Korrekturen, gegen die Verflüssigung der Geschlechter gibt.

„Ich habe den Eindruck, es kommt jetzt noch mal dicke“, sagt der Autor, „weil diese Themen endlich im Alltag und in der Tagespolitik angekommen sind. Selbst eine Provinzbehörde muss sich heute mit so etwas wie Gender beschäftigen. Daher rührt der geballte Unwillen derer, die dabei mit dem Rücken an die Wand geraten.“

Inzwischen gebe es ja sogar so etwas wie eine rechte Intelligenz, „was ich zu meinen Lebzeiten nicht für möglich gehalten hätte“, die verhältnismäßig eloquent gegen die Political Correctness Sturm laufe. Aber diese Gegenbewegung, glaubt Meinecke, sei eine verzweifelte. „Ich habe das Gefühl, dass sich unterm Strich etwas verbessert hat.“

Erkenntnisse in der MeToo-Debatte

Für Männer, die sich als Feministen bezeichnen, liegt die Fallhöhe freilich oft zwischen dem öffentlichen Bekenntnis und dem privaten Handeln. Nicht wenige prominente Männer, die ins Kreuzfeuer der MeToo-Bewegung gerieten, hatten sich zuvor als aufgeklärte Feministen geriert.

Man müsse zwischen den Fällen unterscheiden, meint Meinecke, bei denen das Verhalten durch nichts zu entschuldigen sei, solchen, bei denen es sich vielleicht nur um einen Lapsus handele, oder eben ganz gewöhnlichen Fällen von Doppelmoral. „Natürlich reiht sich jetzt jeder in den Chor ein, es wird ja niemand sage, ja, ich habe Spaß dran, Frauen zu vergewaltigen.“ Aber es sei eben gar nicht so einfach, mit Künstlern und Moral. Großartige Künstler, die unmögliche politische Ansichten hatten, habe es ja auch immer gegeben. „Iggy Pop und Neil Young haben sich seinerzeit für Ronald Reagan eingesetzt. Und es gibt ja auch wunderschöne Liebeslieder von Charles Manson.“

Zur Person

Thomas Meinecke, 1955 in Hamburg geboren, hat 1980 (unter anderem mit seiner heutigen Frau, der Künstlerin Michaela Melián) die einflussreiche Band F.S.K. gegründet. Seit den späten 80er Jahren veröffentlicht er Erzählungen und Romane im Suhrkamp Verlag, zuletzt „Selbst“. Er lebt in der Nähe von München.

Im Rahmen seiner TransLit-Professur an der Uni Köln spricht Thomas Meinecke am 16. Mai von 18 Uhr an mit dem Autoren Andreas Neumeister und Jan Drees (Tagungsraum R 004, Neues Seminargebäude); am 30. Mai, 18 Uhr, mit den Germanistik-Professoren Torsten Hahn und Christoph Hamann (Neuer Senatssaal, Hauptgebäude) und am 6. Juni, 21 Uhr, mit den Germanisten Eckhard Schumacher und Patrick Hohlweck im Acephale, Luxemburger Straße 46. Der Eintritt ist jeweils frei.

Zu den Themen Gender, Feminismus, Diversity und Sex findet vom 10. bis zum 13. Mai zum zweiten Mal das Britney X-Festival am Offenbachplatz statt. Das Programm finden Sie unter: www.schauspielkoeln.de

KStA abonnieren