Corona, Spaltung, SchulpolitikDie Lage im Land drei Monate vor der Wahl

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Köln  – Drei Monate vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen werden für die Wählerinnen und Wähler neben der Corona-Lage landespolitische Themen wichtiger. Dies ist ein Ergebnis des „NRW-Checks“, einer vierteiligen Umfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und 38 weiterer nordrhein-westfälischer Tageszeitungen vor der Landtagswahl am 15. Mai.

Zwar bleibt die Pandemie für mehr als die Hälfte der Menschen in NRW (56 Prozent) weiterhin das mit Abstand größte Problem. Doch hat es seit Dezember an Bedeutung verloren (minus 8 Punkte), während andere Fragen nun häufiger genannt werden als noch vor zwei Monaten. Dazu gehören insbesondere die Themen Bildung (23 Prozent / plus 9), Verkehr und Mobilität (21 Prozent / plus 7) sowie der Klima- und Umweltschutz (15 Prozent / plus 2). In der repräsentativen Befragung des Meinungsforschungsinstituts „Forsa“ für den „NRW-Check“ waren Mehrfachnennungen möglich.

Besorgnis in der Pandemie sinkt

Während die Corona-Zahlen auch in NRW täglich neue Höchstwerte erreichen, sinkt umgekehrt angesichts vielfach undramatischer Krankheitsverläufe nach einer Infektion mit der Omikron-Variante die Besorgnis der Bevölkerung. Im „NRW-Check“ traten noch im Dezember 63 Prozent der Befragten für einen generellen Lockdown bei steigenden Inzidenzen ein. In der aktuellen Befragung sind es nur noch 51 Prozent. Der Anteil der Menschen, die eine allgemeine Impfpflicht befürworten, ging ähnlich klar zurück: von 78 Prozent im Dezember auf jetzt noch 63 Prozent.

Alles zum Thema Hendrik Wüst

Die von der Landesregierung getroffenen Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung halten 39 Prozent der Menschen für angemessen, 30 Prozent für unzureichend und 25 Prozent für zu weitgehend. Auch hier hat sich die Einschätzung im Vergleich zum Dezember deutlich entspannt: Damals wollten noch 63 Prozent die Maßnahmen verschärft wissen, nur 18 Prozent hielten sie für angemessen.

Ausgang der Landtagswahl völlig offen

Solche Bewegungen der Stimmung zum nach wie vor drängendsten Problem der Menschen in NRW verstärken das Urteil der Meinungsforscher vom Institut „Forsa“, dass der Ausgang der Landtagswahl noch völlig offen ist. Die Demoskopen verweisen darauf, dass der Wahltermin 15. Mai einer Mehrheit (56 Prozent) nach wie vor unbekannt ist. Auch in der Frage, welcher Politiker künftig das Land regieren soll, legt sich mehr als die Hälfte Wahlberechtigten weder auf Amtsinhaber Hendrik Wüst (CDU) noch auf Oppositionsführer Thomas Kutschaty (SPD) fest.

Vor diesem Hintergrund ist es interessant, wie die Bevölkerung über die Schulpolitik der schwarz-gelben Koalition denkt.

Fast zwei Drittel der Wahlberechtigten geben nämlich an, das Thema Schule sei für ihre Wahlentscheidung wichtig oder sehr wichtig. Diese Einschätzung geht quer durch die Altersgruppen und Anhänger der verschiedenen Parteien. Am bedeutsamsten ist die Schulpolitik für die Eltern-Generation der 30- bis 44-Jährigen und die Grünen-Klientel.

Große Unzufriedenheit mit der Schulpolitik in NRW

Dem hohen Stellenwert des Themas steht eine massive Unzufriedenheit mit der von Ministerin Yvonne Gebauer (FDP) verantworteten Schulpolitik der Landesregierung gegenüber. Das gilt sowohl generell als auch speziell mit Blick auf das Corona-Management an den Schulen. In beiden Fällen erreicht die Ablehnung regional (Linker Niederrhein) die 80-Prozent-Marke. Naturgemäß groß ist sie auch bei den Anhängern der Oppositionsparteien SPD (80 Prozent) und Grüne (83). Aber selbst bei der eigenen Klientel überwiegt das negative Bild: 64 Prozent der CDU-Anhänger und sogar 73 Prozent der FDP-Anhänger zeigen sich mit der Schulpolitik in NRW unzufrieden.

In der politischen Gesamtstimmung konnten Wüst und die Landesregierung im Vergleich zum Dezember zulegen. Mit der Arbeit des Ministerpräsidenten sind 40 Prozent zufrieden (plus 9), mit der seiner Regierung 37 Prozent (plus 6).

CDU führt in der „Sonntagsfrage“

In der „Sonntagsfrage“ hat sich die CDU im Vergleich zum „NRW-Check“ vom Dezember von 27 Prozent auf 29 Prozent verbessert. Die Union liegt damit um 2 Punkte vor der SPD, die ihren Wert vom Dezember hält. Die Grünen klettern auf 18 Prozent (plus 1), die FDP rutscht von 12 auf 9 Prozent ab. AfD (7 Prozent) und Linke (4 Prozent) können ihr Ergebnis halten.

Die amtierende Regierung von CDU und FDP unter Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ist damit drei Monate vor der Landtagswahl weiterhin ohne eigene Mehrheit. Beide Parteien zusammen kämen nur auf 38 Prozent der Stimmen, wenn schon am nächsten Sonntag gewählt würde, ein Minus von mehr als 7 Punkten gegenüber dem Ergebnis der Landtagswahl von 2017. Für Rot-Grün ergäbe sich derzeit mit 45 Prozent ein Patt gegenüber Union, FDP und AfD. Auf Mehrheiten in Zweierbündnissen kämen nur Schwarz-Grün (47 Prozent) oder die früher so genannte „Große Koalition“ von CDU und SPD (56 Prozent).

Wüst im Direktvergleich klar vor Kutschaty

Könnten die Bürgerinnen und Bürger den Ministerpräsidenten selbst, würden sich aktuell 29 Prozent für Wüst (plus 5) und 16 Prozent für seinen SPD-Herausforderer Thomas Kutschaty (plus 4) stimmen. Der Anteil derer, die für keinen der beiden votieren würden, ist um 9 Punkte gesunken, liegt aber immer noch bei deutlich mehr als der Hälfte der Wahlberechtigten (55 Prozent). Bei den eigenen Anhängern kommt Wüst auf 77 Prozent, von den SPD-Anhängern würden 52 Prozent für Kutschaty votieren, 15 Prozent für Wüst und 33 Prozent für keinen von beiden.

Die Koalitionspräferenzen liegen im Vergleich zum ersten „NRW-Check“ praktisch unverändert gleichauf. 22 Prozent der Wähler hätten nach der Landtagswahl am liebsten eine Neuauflage des amtierenden Bündnisses von CDU und FDP. 21 Prozent wünschen sich das Comeback einer rot-grünen Koalition, die in NRW zuletzt von 2012 bis 2017 regiert hatte.

Menschen sehen Zusammenhalt schwinden

Der „NRW-Check“ richtete in der zweiten Befragungswelle einen besonderen Fokus auf das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen im Land. Unter dem Eindruck der Corona-Krise sieht die Hälfte den Zusammenhalt geschwunden (51 Prozent) und das gesellschaftliche Miteinander langfristig beschädigt (55 Prozent). Weit überdurchschnittlich geteilt werden diese Einschätzungen von den Anhängern der AfD mit 84 bzw. 76 Prozent.

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Die These von einer Spaltung der Gesellschaft durch Corona in zwei annähernd gleich große Lager lehnen hingegen 71 Prozent der Menschen ab. Sie sehen stattdessen die Abspaltung einer kleinen Minderheit von Gegnern der Impfungen und der Corona-Maßnahmen. Ausnahme ist wiederum die AfD-Klientel, die zu 77 Prozent von einem Riss mitten durch die Gesellschaft ausgeht.

So entsteht der NRW-Check

Glaubwürdigkeit, betonen Journalisten gern, sei ihr höchstes Gut. Dasselbe behaupten auch die Demoskopen für sich. Nach 1945 habe der ramponierte Ruf der Meinungsforschung in Deutschland erst mühsam wieder aufgebaut werden müssen, sagt Manfred Güllner, Gründungsgeschäftsführer des Instituts „Forsa“. Umso mehr Wert legt der Chef eines führenden Branchenvertreters auf die Transparenz seiner Arbeit.

Die von Forsa durchgeführten Umfragen für den „NRW-Check“ basieren auf bewährten Methoden der empirischen Sozialforschung. „Eine Grundgesamtheit von 2000 Befragten stellt neben einer geringen statistischen Schwankungsbreite sicher, dass die Ergebnisse nach einzelnen Bevölkerungs- und Wählergruppen auf belastbarer Datenbasis ausgewertet werden können“, erläutert Güllner. Auch könnten die Ergebnisse nach Regionen differenziert dargestellt werden. Dafür sei die Zahl der Befragten – von 150 Menschen im Sauer- und Siegerland bis zu 500 Personen im Ruhrgebiet – groß genug.

Allerdings sei hier mit größeren statistischen Unschärfen zu rechnen. „Bei 200 Befragten je Region können die Ergebnisse um bis zu sieben Prozentpunkte schwanken“, erläutert Güllner. Dementsprechend dürften Abweichungen zwischen den Regionen von vier oder weniger Prozentpunkten „nur mit Vorsicht interpretiert werden“. An den Trends ändere das jedoch nichts. „Wenn zwei Drittel aller Befragten für eine allgemeine Impfpflicht sind, ist eine Fehlertoleranz von wenigen Prozentpunkten am Ende unerheblich.“

Zur Auswahl der Befragten kommt Forsa über ein eigenes Panel von bundesweit 100.000 Wahlberechtigten, die ihre Antworten online geben. In NRW stehen 20.000 Panel-Teilnehmer zur Verfügung. Aus ihnen wird für den „NRW-Check“ eine Zufallsstichprobe von 2000 Personen gezogen. Die Rekrutierung findet bei Forsa – im Gegensatz zu anderen Anbietern – ausschließlich durch das Unternehmen selbst im Rahmen täglicher Telefonbefragungen statt. Güllner: „Wir erkundigen uns am Ende jedes Telefonats, ob wir dem Gesprächspartner unter Umständen zu einem späteren Zeitpunkt einen Online-Fragebogen zukommen lassen dürfen.“ Veränderte Gewohnheiten der Telekommunikation sind in der Auswahl schon berücksichtigt. „Wir gehen selbstverständlich davon aus, dass mehr als 30 Prozent der Menschen kaum noch über einen Festanschluss zu erreichen sind, sondern fast ausschließlich über ein Handy telefonieren.“ Am Ende verfüge „Forsa“ für die Befragungen über einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung.

Die Festlegung der acht Regionen folgt einer Aufteilung der Landeszentrale für politische Bildung. Sie kartiert das Land nach „identitätsstiftenden“ Merkmalen. Daraus ergeben sich folgende Regionen:

• Rheinschiene (Bonn – Köln – Düsseldorf), • Bergisches Land • Eifel • Linker Niederrhein • Sauer- und Siegerland • Ruhrgebiet • Münsterland • Ostwestfalen

(Mitarbeit: Axel Richter)

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