Die schwarz-grüne Koalition modernisiert das Verfassungsschutzgesetz. Der Entwurf soll auf neue Bedrohungen durch verfassungsfeindliche Bestrebungen, Cyberangriffe und Spionage reagieren.
Gesetz für mehr Sicherheit in NRWVerfassungsschutz soll Chats von Terrorverdächtigen mitlesen können

„Mehr Kriege, Krisen und Konflikte verlangen auch mehr Können unserer Sicherheitsbehörden“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (r.). Vorne im Bild Jürgen Kayser, Leiter des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen.
Copyright: Roberto Pfeil/dpa
Ein neues Verfassungsschutzgesetz soll die Sicherheit in NRW erhöhen. „Mehr Kriege, Krisen und Konflikte verlangen auch mehr Können unserer Sicherheitsbehörden“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) bei der Vorstellung der Pläne in Düsseldorf. Auch der Terroranschlag von Solingen im August 2024 habe gezeigt, wie wichtig es sei, Radikalisierungsprozesse möglichst früher als bislang zu erkennen.
Was genau soll sich ändern? Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ beantwortet die wichtigsten Fragen.
Warum soll das bisherige Gesetz reformiert werden?
Das Verfassungsschutzgesetz von NRW ist 30 Jahre alt. Es muss nach Ansicht von Reul „kernsaniert“ werden, um mit der aktuellen Sicherheitslage Schritt halten zu können. „Erst vor wenigen Tagen haben unsere Behörden in Köln einen ukrainischen Low-Level-Agenten festgenommen, der im Dienste Russlands Sprengsätze per Post versenden wollte. Desinformation und Cyberangriffe, aber auch Sabotage und Spionage sind keine Eintagsfliegen mehr“, sagte Reul.
Alles zum Thema Herbert Reul
- Mutmaßliche Kreml-Agenten Sprengstoff-Pakete sollten womöglich von Köln aus verschickt werden
- Nach Pannen bei der Jahrhundertflut NRW richtet Landesstelle für Katastrophenschutz ein
- 400 Einsatzkräfte Große Razzia im Clan- und Rockermilieu in NRW – Polizei kontrolliert Türsteher
- AfD „gesichert rechtsextrem“ Debatte um mögliches Verbot nimmt in NRW wieder Fahrt auf
- Vorsicht, Blindgänger! Kampfmittelfunde in NRW steigen rapide – Köln besonders betroffen
- Handwerk An das Schoko-Fondue mit Herbert Reul erinnert sich ein Kirchheimer Dachdecker gerne
- Autoposer und Raser im Fokus Polizei NRW plant umfangreiche Kontrollen am „Car-Friday“
Der Anschlag von Solingen habe schmerzlich vor Augen geführt, wie schnell aus einer abstrakten Bedrohungslage eine konkrete Tat werde: „Wir müssen sehen können, wer sich da von wem Videos anschaut und so nah es geht an diese Leute herankommen.“
Welche Rolle spielt die Unsicherheit im Verhältnis zu den USA?
Das ist nicht der Auslöser für die Novelle, unterstreicht aber die Notwendigkeit, sich aus Abhängigkeiten zu befreien. „Wenn ich über den Atlantik schaue, sehe ich, dass vieles, was jahrzehntelang als selbstverständlich galt, es heute nicht mehr ist“, sagte Reul. „Wer weiß, was das auch bald für die Zusammenarbeit unserer Sicherheitsbehörden heißt?“ US-Geheimdienste hatten in der Vergangenheit wiederholt Hinweise auf Anschläge in Deutschland erhalten – zum Beispiel auf das geplante Attentat auf den Kölner Dom.
Was soll künftig technisch möglich sein?
Die Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) gibt dem Verfassungsschutz die Möglichkeit, verschlüsselte Kommunikation mitlesen zu können – dort, wo es rechtlich erlaubt ist. Die neue Funkzellenabfrage bei Mobilfunkbetreibern hilft, Netzwerke aufzudecken. Bei der Datenanalyse ist der Weg frei für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. „KI hilft uns dabei, Trends in sozialen Medien zu monitoren. Wir müssen sicherstellen, dass aus Funken keine Feuer werden“, sagte Reul.
Was ändert sich bei den Auskunftsrechten?
Künftig soll es leichter sein, an Kontostammdaten zu kommen - zum Beispiel über das Bundeszentralamt für Steuern. Extremismus, Terrorismus und Spionage kosten Geld, zum Beispiel beim Waffenkauf. Um Reisebewegungen nachvollziehen zu können, können Daten zur Buchung von Flügen und Fernbussen abgefragt werden. Im Einzelfall darf der Verfassungsschutz auch auf Daten aus der Videoüberwachung des öffentlichen Raums zugreifen.
Wie alt muss man sein, um ins Visier der Verfassungsschützer geraten zu können
Auch Einzelpersonen können künftig beobachtet werden - unabhängig davon, ob sie Teil einer extremistischen Gruppierung sind oder nicht. Bei der Prävention gibt es keine Altersgrenze mehr.
Bislang durfte der Verfassungsschutz erst bei Verdächtigen im Alter ab 16 präventiv tätig werden, bei Terroristen ab 14. „Jetzt gilt das auch für unter 14-Jährige“, sagte Reul.
Wird die Spionageabwehr ausgeweitet?
Ja. Ein neuer Schwerpunkt bildet der Schutz der heimischen Industrie und von Handelsunternehmen. Zuletzt hatten sich ausländische Ausspähversuchen und Sabotageakte gehäuft. „China zum Beispiel versucht in Wissenschaft und Technik relevante Technologie auszukundschaften und Ideen zu klauen“, erklärte Reul. Agenten sollen Informationen zu Bootsmotoren und zu Technik von Panzern und Drohnen für China ausgespäht haben.
Wie wird die Arbeit des Verfassungsschutzes kontrolliert?
Eine Kontrollgruppe (G 10-Kommission) des Landtags überprüft die Maßnahmen zur Telekommunikationsüberwachung. Ein Richtervorbehalt gilt für längerfristige Observationen, den Einsatz von Vertrauensleuten oder die Wohnraumüberwachung. Reul kommentierte die Regelung so: „Wo es mehr Befugnisse gibt, muss es auch mehr Kontrolle geben.“
„Wo es mehr Befugnisse gibt, muss es auch mehr Kontrolle geben.“
Wann treten die neuen Regeln in Kraft?
Noch vor der Sommerpause kommt der Entwurf zur Beratung in den Landtag und soll dann im nächsten Jahr in Kraft treten. Das schwarz-grüne Kabinett hatte den Entwurf in der vergangenen Woche gebilligt.
Was sagt die Opposition?
Die Oppositionsfraktionen von SPD und FDP bejahten im Grundsatz die Notwendigkeit, das Verfassungsschutzgesetz „mit Augenmaß“ zu modernisieren, „ohne Grundrechte zu schleifen“. „Sicherheit braucht Rechtsstaatlichkeit – und keine Überreaktion auf digitale Herausforderungen“, sagte Marc Lürbke, Innenexperte der Liberalen.
Christina Kampmann, innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Landtag, erklärte: „Das Verfassungsschutzgesetz ist in die Jahre gekommen und muss dringend an neue Herausforderungen für unsere Demokratie und den Rechtsstaat angepasst werden. Wir leben heute in einer anderen Welt als noch vor 20 Jahren. Es ist also höchste Zeit dafür.“