Kölner Messechef Böse„Ich kannibalisiere mich lieber selbst, als dass es andere tun“

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Böse

Kölns Messe-Chef Gerald Böse fürchtet für 2021 einen dreistelligen Millionenverlust

Köln – Herr Böse, Sie sind in der Corona-Zeit zum Bartträger geworden. Nun ist er ab. Was hat es damit auf sich?

Gerald Böse Im Sommer 2020 kam ich mit Bart aus dem Urlaub zurück. In der ersten Geschäftsführungssitzung habe ich mich zu dem Satz verleiten lassen „Der Bart kommt erst ab, wenn wir wieder Messen vor Ort machen“. Damals bin ich allerdings davon ausgegangen, dass das schon im Herbst 2020 wieder der Fall sein würde. Dass es bis zur Rasur 16 Monate dauern würde, hatte ich nicht erwartet.

Wie fühlt es sich an, wieder Messen zu machen?

Es fühlt sich sehr, sehr gut an. Ebenso wie das gesamte Team merke jetzt erst so richtig, wie sehr wir alle das vermisst haben. Es war großartig, bei der „Kind und Jugend“ wieder in strahlende Gesichter zu schauen – bei Mitarbeitern, Ausstellern und Besuchern. Da wusste ich: Wir sind wieder da und können auf einen guten Herbst hoffen.

Die „Kind und Jugend“ ist ja im Vergleich zu früher sehr klein ausgefallen. Warum haben Sie sie trotzdem gemacht?

Mit Beginn der Pandemie sind wir gefühlt mit 200 Stundenkilometern vor die Wand gefahren. Das war ein echter Schock. Der Betrieb hier ist es gewohnt, 365 Tage voll zu funktionieren. Wir waren 16 Monate nicht mehr im Live-Modus und haben uns bewusst entschieden, mit der „Kind und Jugend“ zu starten, auch wenn wir nur 180 Aussteller hatten im Vergleich zu sonst ungefähr 1200.

War das nur ein Prestigeobjekt oder lohnt sich das auch schon wirtschaftlich?

Im Vorfeld gab es viele Fragen: Nimmt die Marke Schaden, kommen überhaupt Besucher? Es kamen 2000 Besucher und die Aussteller waren zufrieden. Jeder Euro, den wir umsetzen, hilft dem Unternehmen zurück in die Normalität. Jede Messe, die stattfindet, ist eine Botschaft: Wir sind zurück!

Wie sind denn die Anmeldezahlen für die großen Messe wie IDS, Anuga oder die Möbelmesse im Januar?

Die Absagen in 2020 haben leider auch das ganze Jahr 2021 infiziert. Es ist ein Domino-Effekt. Mit der IDS, Anuga, FSB und den Kunstmessen haben wir einen starken Herbst, und das ist ein gutes Signal für 2022. Bei der Anuga haben wir 4300 Aussteller. Bei der Möbelmesse liegen die Anmeldungen jetzt bei 75 Prozent. Das ist sehr gut angesichts der Umstände.

Mit welchen wirtschaftlichen Ergebnissen rechnen Sie vor diesem Hintergrund?

Wir werden in 2021 erneut durch ein Tal der Tränen gehen, auch 2022 werden wir die Auswirkungen der Pandemie noch deutlich spüren… Was uns doppelt trifft, weil für uns die geraden Jahren aufgrund der Messezyklen traditionell schwächer sind.

Was heißt das in Zahlen?

In diesem Jahr wird der Umsatz deutlich unter 200 Millionen Euro bleiben und es kann ein dreistelliger Millionenverlust herauskommen. Für eine Prognose für 2022 ist es noch etwas zu früh, wir planen aber mit einem Umsatzminus von etwa 30 Prozent im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit.

Reicht das Eigenkapital noch für eine solche Durststrecke?

Ja, bis wir in 2023 wieder Gewinne fahren.

Das heißt, die Gesellschafter Stadt und Land müssen nicht nachschießen?

Nach heutiger Planung nicht, Voraussetzung ist jedoch, dass es keinen weiteren Lockdown gibt.

Die Kölner Messe setzt auch künftig auf hybride Formate, also Messe vor Ort und im Netz. Kannibalisieren Sie sich damit nicht selbst?

Ich kannibalisiere mich lieber selbst, als dass es andere tun. Und es ist interessant zu sehen, dass selbst die digitalsten Branchen wie die Computerspieleindustrie es nicht abwarten können, sich wieder persönlich zu treffen. Wir wollen unseren Kunden das Beste aus der digitalen und der realen Welt bieten.

Wie tragfähig ist das digitale Geschäftsmodell jetzt schon? Oder ging es in Corona vor allem darum, die Kunden bei Laune zu halten?

Als die Pandemie im März über uns hereinbrach und klar war, dass es auf absehbare Zeit keine Messen geben wird, standen wir vor der Wahl: Lassen wir unsere Branchen in dieser Situation allein oder versuchen wir, ihnen eine digitale Lösung anzubieten. Damit haben wir im Falle der Gamescom schon 2019, vor Corona, begonnen. Wir konnten in der Krise auf unseren Erfahrungen aufbauen, die digitalen Messen weiterentwickeln und damit auch unsere Umsätze steigern. Jede digitale Veranstaltung muss auch von Anfang an kostendeckend sein. Es ist ansonsten schwer darstellbar, bei einem Verlust von 110 Millionen Euro in 2020 noch weiter Geld ins Digitale zu investieren. Um eine Zahl zu nennen: mit virtuellen Messen machen wir aktuell circa zehn Prozent des Umsatzes der physischen Messen.

Messe Eingang

Engang der Messe Köln

Sie wollen auch mit den Daten der Aussteller und Besucher Geld verdienen. Wie genau?

Der Ursprung der Idee kam im Zuge unserer Kooperation mit Samsung SDS. Anfangs ging es dabei um digitale Anzeigen und Besucherführung auf dem Gelände. Das wurde weiterentwickelt zu Geofencing, also zum Erfassen von Besucher- und Bewegungsprofilen. So können wir Besucher, die ein bestimmtes Produkt suchen, zu den jeweiligen Ständen leiten. Und der Aussteller erfährt, dass ein potenzieller Kunde nur drei Gänge weiter unterwegs ist. Wir führen beide per App zusammen und der Kunde zahlt für dieses Match-Making eine Gebühr.

Aber nicht alle Messen laufen auf digitalen Plattformen, warum?

Es gibt keine Standardlösungen. Jede Branche braucht von uns einen digitalen Maßanzug. Einige waren bereit, diesen Weg in der Pandemie mit uns zu nehmen und auch finanziell ins Risiko zu gehen. Bei anderen – wie im Falle der Möbelmesse – passte das nicht.

Wie geht es denn den Branchen, die am Messeplatz Köln beheimatet sind?

Die meisten sind glücklicherweise gut durch die Corona-Krise gekommen, wie etwa die Möbel- und Küchenindustrie, Ernährung, Outdoor oder Gaming. Aber es gab eben auch viele Vorzieheffekte – der Gartentisch oder die neue Küche wurden früher gekauft als geplant, was in den kommenden Jahren Spuren hinterlassen könnte. Und wir haben aufgrund der vielfachen Verschiebungen an allen Standorten weltweit ein enormes Durcheinander der Messetermine. So findet etwa die Reifenmesse in Bologna 2022 zeitgleich zu „The Tire Cologne“ statt. Die Aussteller müssen sich für einen Messeplatz entscheiden, und es ist fraglich, ob sie dann nochmal zurückkehren. Insgesamt rechne ich mit einer Konsolidierung der Messelandschaft.

Die Automesse IAA hat erstmals nicht mehr in Frankfurt sondern in München stattgefunden. Auch Köln hatte sich beworben. Gibt es eine zweite Chance?

Die IAA ist jetzt bis 2024 in München, und dort wünsche ich dem VDM viel Erfolg. Wir haben ein eigenes Konzept mit der Polismobility im kommenden Jahr auf unserem Gelände und in der Stadt. Der Unterschied ist, dass in Köln auch Stadtplanung von Anfang an eine zentrale Rolle spielt. Es wird künftig keine Mobilitätskonzepte ohne ganzheitliches Denken, das heißt auch: gute Stadtplanung. Wir brauchen keine ideologische Verkehrswende, sondern eine intelligente.

Die Kölner Messe spart, auch an der Geschäftsführung…

Ja, wir werden nach dem Ausscheiden von Finanzchef Herbert Marner im Mai 2022 nur noch zu zweit sein. Oliver Frese und ich sind ein gutes Tandem und werden von erfahrenen Bereichsleitern und Messedirektoren unterstützt. Ich übernehme das Thema Finanzen, IT und das Investitionsprogramm „Koelnmesse 3.0“. Dafür gebe ich einige Bereiche an Oliver Frese ab.

Sie haben bislang keine Mitarbeiter gekündigt. Bleibt es dabei?

Wir haben versucht, alle an Bord zu halten. Und das war richtig und notwendig. Denn gerade mit hybriden Formaten ist die Arbeitsbelastung unserer Teams so, als ob man zwei Messen parallel macht.

Wie ist der Stand bei den Plänen einer neuen Hauptverwaltung?

Fakt ist, dass sich mit dem bestehenden Hochhaus neue Optionen ergeben, damit wir Mieter bleiben können. Unser Zeitplan sieht vor, dass wir bis Ende des Jahres eine Entscheidung brauchen – eigener Neubau oder Sanierung des Gebäudes mit uns als langjährigem Mieter.

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Am Sonntag ist Bundestagswahl. Haben Sie sich schon entschieden? Und was sind Ihre Erwartungen an die neue Bundesregierung?

Ja, ich habe bereits gewählt. Und man weiß ja noch nicht so recht, was einen danach erwartet. Das Magazin „The Economist“, hat schon geschrieben, wenn Deutschland eine Aktie wäre, dann stände sie auf „Verkauf“. Ich gehe davon aus, dass es eine Richtungsentscheidung gibt – entweder der überfürsorgliche Staat oder mehr Eigenverantwortung. Angst habe ich als Messechef davor nicht, aber ich bin in Sorge um unsere Kunden aus dem Mittelstand. Wir vertreten 20 Wirtschaftsbereiche, die noch mehr Regulierung und finanzielle Belastung im globalen Wettbewerb nicht so ohne Weiteres wegstecken können.

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