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Die letzten Krokodile ihrer ArtWie der Kölner Zoo Tiere vor dem Aussterben rettet

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Ein Philippinen-Krokodil-Weibchen liegt im Wasser. Zwei Jungtiere sind auch zu sehen.

Philippinen-Krokodile wären längst ausgestorben, wenn der Kölner Zoo sie nicht züchten würde

Säuge- und Meerestieren, Vögeln und Insekten droht ein Massensterben: Der Kölner Zoo hat einige Arten vor dem Aussterben bewahrt. 

„Mindo“, ruft Anna Rauhaus und stößt mit einem fast drei Meter langen Bambusrohr auf den Boden des unter ihr liegenden Geheges. Von ihrer Empore aus beobachtet die Tierpflegerin aus sicherer Entfernung, wie die angesprochene Dame reagiert. Die 25-jährige Mindo, 20 Kilo schwer und 1,70 Meter lang, ist eines der weltweit letzten Philippinenkrokodil-Weibchen. Das Tier fletscht die Zähne, watschelt in Richtung des Bambusstockes und beißt in das gelb markierte Ende des Stocks. Zielsicher wirft Rauhaus zur Belohnung von oben eine tote Maus ins Maul der Panzerechse, die blitzschnell zuschnappt.

„Zieltraining“ heißt die Übung mit dem Bambusrohr, die auch Krokodil-Männchen Pinoy täglich absolviert. „Dadurch sind wir in der Lage, die beiden wieder zu trennen, nachdem wir sie in der Paarungszeit für kurze Zeit ins gleiche Becken gelassen haben“, erklärt Rauhaus. Die Tiere, extrem scheu und aggressiv, würden sich sonst gegenseitig verletzen.

Krokodile im Kölner Zoo: Nur noch 100 Exemlare weltweit

Und sie sind die am meisten bedrohte Krokodilart weltweit, von der es in freier Wildbahn wohl nur noch 100 ausgewachsene Exemplare gibt. Dass die Tiere noch nicht ausgestorben sind, dafür hat auch der Kölner Zoo gesorgt. Bis Mindo und Pinoy, ausgeliehen von der um Unterstützung bittenden philippinischen Regierung, 2006 ins Rheinland gekommen sind, war nahezu nichts über das Fortpflanzungs- oder Brutpflegeverhalten der Spezies bekannt. In Köln wurden die Tiere aufmerksam beobachtet und überwacht. Es wurden Kameras installiert, um sie auch nachts nicht aus den Augen zu verlieren.

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„Heute wissen wir, wenn die in zwei nebeneinander liegenden Becken gehaltenen Krokodile im Winter immer wieder am geschlossenen Verbindungsschieber stehen, wenn sie dann blubbern, das Weibchen die Schnauze hebt und das Männchen auf eine ganz bestimmte Art an die Scheibe schwimmt, dann sieht es gut aus bezüglich einer Paarung“, berichtet Rauhaus. Dann würden die Tiere für ein paar Stunden zusammengeführt, „bis es geklappt hat“.

Sensationelle Beobachtungen im Kölner Zoo

Wenn ihre Jungen dann nach der Brutzeit schlüpfen, trage das Weibchen die Eier zwischen ihren spitzen Zähnen vorsichtig ins Wasser und knabbere sie zur Geburtshilfe behutsam auf, ergänzt die Pflegerin. Im Juli 2015 gelang dem Kölner Zoo die erste Nachzucht weltweit. Zwei Jungtiere wurden zurück in die Philippinen geflogen, um sie dort auszuwildern. Anfang Mai ist es wieder so weit, dann werden drei Krokodile verschickt, die im Sommer 2021 am 96. Tag nach der Eiablage geschlüpft sind.

Artenschutz hat Tradition im Kölner Zoo. 1985 fand hier die entscheidende Konferenz statt, bei der sich europäische Tiergärten auf gemeinsam abgestimmte Erhaltungsprogramme geeinigt haben. In Köln werden mittlerweile 198 Arten gehalten, das ist knapp ein Viertel des Bestandes, die laut Roter Liste der Weltnaturschutzunion als vom Aussterben bedroht, stark gefährdet oder gefährdet gelistet sind.

Pferde, Affen, Enten, Stare oder Ibisse: Zahlreiche Arten werden in Köln erhalten

Einige der Tiere konnten gezüchtet und sogar ausgewildert werden. So wurden am Rhein geborene Przewalskipferde erfolgreich in China und der Mongolei angesiedelt. Fünf Goldgelbe Löwenäffchen wurden an der Südostküste Brasiliens ausgewildert, zahlreiche Marmelenten zurück nach Mallorca gebracht, 55 Exemplare des Tropenvogels Balistar aus verschiedenen europäischen Haltungen wurden in Köln zusammengeführt, um sie nach Bali zu fliegen, und zwölf Exemplare der Ibisvogelart Waldrapp wurden in Italien sowie an der Nordsee ausgewildert. Mit teilweise extremem Aufwand: Weil die im Zoo aufgewachsenen Zugvögel die herbstliche Reiseroute in den Süden nicht kannten, freundeten sich Naturschützer monatelang mit einigen Tieren an und flogen mit Ultraleichtfliegern voraus über die Alpen in Richtung Toskana.

Unabhängig von den Nachzuchten beteiligt sich der Tiergarten weltweit auch an entsprechenden Projekten, etwa an Schutzprogrammen für Elefanten auf Sri Lanka, für Amphibien in Laos und Vietnam, für Ameisenbären in Südamerika, für Baumkängurus in Papua-Neuguinea oder für Gorillas im Kongo. Etwa 2,3 Millionen Euro wurden dafür bisher gespendet. Der Zoo schickt aber nicht nur Geld, sondern auch Personal. Neben der Unterstützung für Erhaltungsmaßnahmen haben die Kölner mit der Hilfe der örtlichen Partner dabei alleine in Vietnam und Laos über 130 neue Wirbeltierarten entdeckt und dokumentiert: Frosch- und Schwanzlurche, Echsen, Schlangen und Säugetiere. Auch die Ökologie dieser Arten wurde untersucht, um wirkungsvolle Schutzmaßnahmen planen und umsetzen zu können. Die spektakulären Neuentdeckungen führten dazu, dass der vietnamesischen Nationalpark Phong Nha-Ke Bang im Jahr 2003 zum Weltkulturerbe erklärt wurde.

Kölner Zoo: „Wir wollen die Besucher für Tiere begeistern“

Das Engagement von Zoos wird mittlerweile auch von Naturschutzorganisationen anerkannt. „Beim Schutz und Erhalt von Arten“ würden diese heutzutage „einen wichtigen Beitrag leisten“, betont eine Nabu-Sprecherin auf Anfrage. Moderne Tiergärten seien „wissenschaftliche Bildungs- und Naturschutzzentren“, sagt der Kölner Zoodirektor Theo Pagel. Es gehe schon lange nicht mehr nur um Erholung für Stadtbewohner.

„Wir wollen und müssen die Menschen für Tiere begeistern, sie bilden und informieren, aber auch selber forschen und uns für den Arten- und Naturschutz engagieren“, so Pagel. Er sei „total davon überzeugt“, dass zoologische Gärten „eine riesige Verantwortung und Chance“ haben. Etwa 64 Millionen Menschen würden pro Jahr in Deutschland in Zoos gehen, in Köln seien es bis zu 1,3 Millionen Besucher.

„Die kann ich erreichen und emotional packen“, so Pagel. „Wir wollen am liebsten eine Bewegung starten, so ähnlich wie Greta Thunberg das mit dem Klimawandel geschafft hat, dass die Leute endlich begreifen, wie wichtig Artenvielfalt ist.“ Die Aussterbe-Rate bei Tier- und Pflanzenarten sei je nach Spezies um das Hundert- bis Tausendfache erhöht. „Das ist dramatisch, der größte Exodus seit dem Ende der Dinosaurierzeit vor 65 Millionen Jahren – und da sind wir Menschen für verantwortlich.“

Beim Klimawandel gehe es „nur“ darum, „wie wir in Zukunft leben“. Aber wenn die Biodiversität, also die Artenvielfalt, verloren gehe, „dann haben wir als Menschheit gar keine Zukunft mehr“, so Pagel. „Die Welt ist wie ein riesengroßes Puzzlespiel, da haben alle Pflanzen und Tiere eine Bedeutung und je nachdem, welches Teilchen man rausnimmt, funktioniert das ganze System irgendwann nicht mehr.“

Die Zoos alleine können die Welt nicht retten

Bei der Auswahl der Tiere für den Zoo nehme die Rote Liste eine immer größer werdende Rolle ein. „Zuletzt haben wir beispielsweise Bisons und Moschusochsen abgeschafft, um Platz für das hoch bedrohte Spitzmaulnashorn zu schaffen“, berichtet der Tiergarten-Chef. In den kommenden Jahren würden wohl auch die Antilopen ausgetauscht. „Wir suchen uns dann vermutlich eine Art, die aus Afrika kommt, die mit dem Spitzmaulnashorn zusammenleben kann und die auch bedroht ist“, so Pagel.

Ist dies alles aber in Wahrheit nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein? Laut WWF gehen derzeit schließlich täglich etwa 150 Tier- und Pflanzenarten verloren. „Wenn Sie das auf Millionen von Arten hochrechnen, und die Zoos haben etwa 200 Arten gerettet, dann klingt das erstmal wenig“, sagt Pagel. Aber wenn diese Tiere dann ausgewildert würden, dann löse dies eine Kettenreaktion aus, mit der auch zahlreiche weitere Tiere im Umfeld geschützt würden. Klar, alleine könnten die Zoos die Welt nicht retten. „Aber wir spielen mittlerweile eine wichtige Rolle, auch als Vorbild, das sollte man nicht unterschätzen“, betont Pagel.

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