Kölns OB Henriette Reker über die Kanzlerin„Wir werden Angela Merkel noch vermissen“

Lesezeit 5 Minuten
Reker und Merkel

Henriette Reker und Angela Merkel beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Köln im Jahr 2019

Köln – Am Ende eines Gesprächs über die scheidende Kanzlerin, das manchmal an eine Huldigung erinnert und manchmal an die Dankbarkeit einer Schülerin für eine tolle Lehrerin, sagt Henriette Reker einen unscheinbaren Satz, der gefühlt längst jedem Zweiten in Deutschland durch den Kopf geht: „Wir werden Angela Merkel noch sehr vermissen. Und das wird wahrscheinlich schon relativ bald sein.“

„Ich wollte kein Jackenzieher sein“

Als Henriette Reker Angela Merkel im Jahr 2006 kurz nach der Fußball-Weltmeisterschaft zum ersten Mal trifft, ist sie Sozialdezernentin in Gelsenkirchen und Merkel seit knapp einem Jahr Kanzlerin. Im Kanzleramt darf Reker „als wohl einzige unbekannte Frau unter vielen prominenten Politikern“ beim ersten Integrationsgipfel ihr Konzept für eine bessere Integration von Frauen und Müttern auf den Arbeitsmarkt von Gelsenkirchen vorstellen.

„Als Frau Merkel uns im Kanzleramt einzeln begrüßt hat, bin ich danach aus Respekt erstmal zwei Schritte zurückgetreten, ich wollte ja kein Jackenzieher sein“, erinnert sich Reker. „Aber die Kanzlerin hat mich gebeten, vorn stehen zu bleiben, vielleicht lernten wir uns doch sonst gar nicht mehr kennen! Damit hat sie mich sofort für sich eingenommen.“ In der Sitzung sei sie „völlig unaufgeregt mit jedem Einzelnen“ umgegangen. „Sie hat keinen Unterschied gemacht zwischen einem Minister, dem DFB-Präsidenten und einer Dezernentin. Sie hat sich nur für die Ideen interessiert. Das fand ich sehr sympathisch.“

Alles zum Thema Henriette Reker

Beide haben sich ein Staunen bewahrt

Seit der ersten Begegnung schätzt die Kölner Oberbürgermeisterin Angela Merkel, bewundert sie „für ihre Standhaftigkeit, ihre Neugier und ihren Fleiß“. Man darf annehmen, dass Reker hier Parallelen sieht – und sich der Kanzlerin auch in anderer Hinsicht nahe fühlt. Als Frau in hoher Führungsverantwortung, die sich gegen viele Männer mit übermannsgroßem Ego durchsetzen musste. Als unabhängiger Geist – Reker hat kein Parteibuch, Merkel hat sich oft nicht um die Linie ihrer Partei geschert. Schließlich verbindet die beiden ein Staunen (über den Politikbetrieb), das ungewöhnlich ist und ihnen ein wenig Abstand beschert. Kritiker würden zusetzen, dass Merkel und Reker ein Führungsstil verbindet, dem Innovationskraft fehlt - und Menschen eher nicht für Politik begeistert.

Anruf nach dem Attentat

Dass das Verhältnis der beiden eine persönliche Dimension hat, von der auch einige Vier-Augen-Gespräche zeugen, leugnet die zwei Jahre jüngere Reker nicht. Sie möchte nicht öffentlich darüber sprechen, nur so viel: Die persönliche Anteilnahme Merkels nach dem Attentat auf sie am Tag vor der OB-Wahl im Oktober 2015 habe ihr gut getan. „Bei meinem Mann hat sich die Kanzlerin persönlich nach meinem Gesundheitszustand erkundigt, als noch gar nicht klar war, was aus mir wird“, sagt sie.

Kurz zuvor, im September 2015, hatten sich die beiden auf dem Bundesparteitag der CDU in Köln getroffen – der erste Parteitag, den Reker überhaupt besuchte. Es kam zu einem kurzen persönlichen Gespräch, Reker schilderte Merkel auch, wie die Geflüchteten in Köln untergebracht werden. Auf der Rückfahrt aus Köln soll Merkel entschieden haben, die Grenzen offen zu halten.

Respekt vor dem berühmtesten Satz

Die Haltung Merkels in der Flüchtlingsfrage hat Henriette Reker nachhaltig beeindruckt. „Ihr Satz ‚Wir schaffen das‘, der Motivation und Zuversicht ausstrahlte, ist wohl der am meisten zitierte in der jüngeren Vergangenheit überhaupt“, sagt Reker. „Ich finde den Satz nach wie vor richtig. Wenn wir auch als Kommunen sicher nicht gut vorbereitet waren, so haben wir trotzdem mit großen Anstrengungen bewiesen, dass der Satz richtig war – und auch richtig bleibt.“ Die Entscheidung, die Grenzen nicht zu schließen und eine Willkommenskultur zu prägen, „war die wohl größte humanitäre Leistung des 21. Jahrhunderts“, sagt Reker.

Ähnlich wie Merkel ficht Reker es nicht an, dass sie sich mit ihrer liberalen Haltung zur Einwanderung auch viele Feinde gemacht hat. Reker wird seit 2015 von Fanatikern bedroht und hätte infolge des Attentats eines brutalen Rechtsradikalen, der sie für ihre Flüchtlingspolitik kritisierte, fast mit dem Leben bezahlt.

Das könnte Sie auch interessieren:

Ähnlich wie Merkel hat Reker Männer, die sich überlegen fühlten, in die Schranken gewiesen. Natürlich sei es auch ihr schon so ergangen, dass sie in Runden älterer Herren mit Blicken empfangen wurde, die Zweifel verrieten oder Herablassung. „Natürlich habe auch ich Situationen erlebt, in denen ich sagen musste: Traut man mir hier nicht zu, meine eigenen Interessen zu vertreten?“ Merkel habe gezeigt, wie selbstverständlich und souverän Frauen mit ihren Interessen und mit Führung umgehen können. „Die Kanzlerin hat viel dafür getan, dass Frauen in Führungspositionen selbstverständlicher geworden sind“, sagt Reker.

Bei Treffen mit Merkel zu spät gekommen

Ein bisschen unangenehm ist es der Kölner OB, dass sie zu zwei Treffen mit der Kanzlerin zu spät gekommen ist. Beim so genannten Diesel-Gipfel habe man sie zunächst nicht ins Kanzleramt gelassen. "Ich war wohl nicht offiziell angemeldet. Als ich schließlich doch noch reinkam, hat die Kanzlerin vor allen Bürgermeistern gefragt, ob ich erklären könne, wo ich jetzt herkommen würde.“ Noch unangenehmer sei ihr eine Verspätung anlässlich eines vertraulichen Gesprächs im Kanzleramt gewesen. „Damals war ich vorher auf der Internationalen Touristikmesse in Berlin – und habe meinen Fahrer nach dem Termin nicht gefunden.“ Es folgte eine hektische Taxifahrt mit ihrem Sprecher Alexander Vogel, 25 Minuten Verspätung und eine zerknirschte Entschuldigung im Vorzimmer der Kanzlerin, wo ihr eine Vorzimmerdame sagte, dass sie den Termin nun leider verpasst habe. Bis Angela Merkel aus ihrem Büro kam und gefragt habe: „Hallo Frau Reker, hat man Sie wieder nicht hereingelassen?“

„Sie denkt Themen vom Ende her“

Nach diesem Tag, sagt die OB, „habe ich beschlossen, vor dem Kanzleramt zu übernachten, wenn ich je wieder einen Termin bei der Kanzlerin haben sollte“. Charakterlich schätzt an Angela Merkel ihre „Uneitelkeit, ihre Offenheit, ihre Glaubwürdigkeit, ihren manchmal spitzen Humor und auch die Tatsache, dass sie Themen gern vom Ende her denkt. Das tue ich auch gern, und das führt in der Regel zu einer Konzentration auf die Sache“. Für die Zeit nach der Kanzlerschaft wünscht Reker Merkel, „dass sie ganz zu sich kommt und Zeit hat, über all das nachzudenken, was sie erlebt und getan hat“.

KStA abonnieren