Baubranche setzt auf SmartlivingDas sind die digitalsten Wohnprojekte Kölns

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Johannes Koza und Benjamin Wardemann vor dem derzeit digitalsten Wohnhaus Kölns am Melatengürtel.

Köln – Die neue Welt des smarten Wohnens ist in Köln am besten am Melatengürtel zu bestaunen. Schlüssel brauchen die Mieter nicht mehr, wer ins Haus will, nutzt einfach seine personalisierte Handy-App. Ein Druck auf die Taste, schon surrt der Türöffner. Im Eingangsbereich des Mehrfamilienhauses, das im Mai fertiggestellt wurde, informiert ein digitales Schwarzes Brett über Neuigkeiten im Haus, aber auch über den aktuellen KVB-Fahrplan und im Ticker über die wichtigsten Nachrichten aus aller Welt.

Die digitale Briefkastenanlage wird ebenfalls via App geöffnet. Pakete werden direkt an die smarte Paketbox im Hinterhof zugestellt. Wenn jemand an der Haustür auf eines der digitalen Klingelschilder drückt, muss man nicht zuhause sein, um mit dem Besucher zu sprechen. Wie bei einem Facetime-Anruf überträgt eine Videokamera Bild und Ton aufs Handy.

Kaffeemaschine, Kühlschrank und Toaster digital steuern

Gebaut wurde das Haus mit im Stadtteil Ehrenfeld von der Metropol Immobiliengruppe. Beim Besichtigungstermin kann man Geschäftsführer Benjamin Wardemann und seinem Kollegen Johannes Koza von der strategischen Unternehmensentwicklung ansehen, wie stolz sie auf ihr Werk sind. Vor zwei Jahren hat die Firma intern darüber diskutiert, wie man sich eigentlich für die Zukunft aufstellen will, um in der Branche vorne mitspielen zu können.

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Gerade erst fertig gestellt und schon bezogen: Der Wohnkomplex am Melatengürtel. 

Die Arbeitsgruppe „Smart Living“ wurde gegründet, sie sollte prüfen, wie das Wohnen und Bauen zukünftig wohl aussehen könnte. Wardemann und sein Team reisten durch ganz Deutschland, um Projekte zu finden, an denen sie sich orientieren können. „Wir waren überrascht, dass es im Bereich Wohnen noch kaum etwas Vorzeigbares gab. Nur in Berlin sind wir fündig geworden“, sagt er. „Die Baugrube am Melatengürtel war schon ausgehoben, als wir die Entscheidung getroffen haben: Lasst es uns jetzt wagen.“ In nur 17 Monaten Bauzeit sind 32 Wohnungen und Townhouses entstanden.

Herzstück ist eine so genannte IOT-Plattform. Das Kürzel IOT steht für „Internet of Things“, also das Internet der Dinge, und meint vereinfacht gesagt die Technologie, mit deren Hilfe man physische und virtuelle Objekte miteinander vernetzt. Über die App steuert der Nutzer den Rollladen, das Licht, die Heizung und – wenn angeschlossen – auch Kaffeemaschine, Toaster und Kühlschrank. Auch die Sprachsteuerung etwa über eine „Alexa“-Box ist möglich. Nach Angaben des Unternehmens ist es das zurzeit digitalste Mehrfamilienhaus Kölns.

Goldgräberstimmung bei den Anlegern

Die Bau- und Immobilienbranche befindet sich in der wohl größten Umwälzung ihrer Geschichte. Das Wort Digitalisierung löst bei den meisten Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern Euphorieschübe aus. Manche nennen es etwas nüchtern Transformation, andere sprechen von Revolution. Smart Building, Smart Living, 3D-Druck, TechProp, Construction Tech. Es klingt, als hätten Nerds aus dem Silicon Valley ein neues Geschäftsfeld gefunden.

Die Möglichkeiten jedenfalls sind gigantisch, die Investitionen sind auf dem Weg dorthin. Vor allem in der Bauindustrie, einem der weltweit größten Arbeitgeber, werden große Hoffnungen in die Digitalisierung gesetzt. Bei den Anlegern herrscht Goldgräberstimmung. Allein 2020 haben Risikokapitalgesellschaften weltweit mehr als eine Milliarde Euro in Start-ups investiert.

Bauvorhaben sollen planbarer werden

Im Jahr 2026 werden laut Prognose der Expertenplattform „Reports and Data“ allein für Künstliche Intelligenz (KI) in der Baubranche 3,7 Milliarden Euro ausgegeben. Das Ziel: Durch die Einführung von KI und Robotertechnologien sollen Baukosten um 20 Prozent gesenkt werden. Es geht um knallharte Effizienz. 3D-Druck von Bauteilen direkt auf der Baustelle. Intelligente Programme sollen bei der Projektplanung die bestmögliche Umsetzung berechnen, auf Baustellen Daten über den Baufortschritt in Echtzeit auslesen und Arbeiter gezielt dort einsetzen, wo sie gebraucht werden. Komplexe Vorhersagemodelle sollen helfen, Kosten, Bauzeiten und benötigte Ressourcen präzise zu berechnen.

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Auch eine Elektro-Ladesäule gehört zur Ausstattung des digitalen Wohnhauses. 

Planungsdebakel wie bei der Kölner Oper oder der Hamburger Elbphilharmonie könnten so zukünftig möglicherweise verhindert werden. Die Einsparung von Arbeitsstunden durch Künstliche Intelligenz wird auf 188 Stunden pro Arbeiter beziffert. Arbeitsplätze sollen dadurch allerdings nicht gefährdet, sondern insbesondere der chronische Facharbeitermangel in der Branche ausgeglichen werden.

Baubranche ist unterdigitalisiert - das könnte sich jetzt ändern

Dabei war die Baubranche bislang nicht gerade für Innovationsfreudigkeit bekannt. Während die Produktivität im Einzelhandel, im verarbeitenden Gewerbe und in der Landwirtschaft seit 1945 um 1500 Prozent gestiegen sei, sei sie in der Baubranche nahezu gleichgeblieben, hat die Unternehmensberatung McKinsey in einer 2017 veröffentlichten Studie errechnet. Einer der Gründe dafür sei, dass das Baugewerbe eine der am meisten unterdigitalisierten Branchen der Welt ist und den Einsatz neuer Technologien eher scheut. „Wenn wir das mit der Industrialisierung vergleichen, sind wir noch bei der Dampflok“, sagt Metropol-Geschäftsführer Wardemann.

Doch allmählich kommt Dynamik in den Markt. Immer mehr Unternehmen widmen sich dem modernen Bauen und Wohnen. Auch die Politik scheint das Potenzial erkannt zu haben, zumindest erweckt sie den Eindruck. Auf Bundesebene hat sich die vom Bundeswirtschaftsministerium unterstützte Initiative „Smart Living Germany“ gegründet. NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach wirbt für Technologieoffenheit in der Branche. Bislang seien viele Innovationen für den „normalen Häuslebauer noch zu teuer“, sagt die Ministerin auf Anfrage dieser Zeitung. Dennoch werde das digitale Planen, Bauen und Betreiben in der nahen Zukunft zum Standard. „Das beste Forschungs- und Entwicklungsergebnis nützt der Allgemeinheit aber nichts, wenn wir es in der Praxis nicht ausprobieren.“

Ein Haus aus dem 3D-Drucker

Das soll sich ändern. In NRW hat die Landesregierung für das laufende Jahr 2,5 Millionen Euro zur Förderung innovativer Baukonzepte bereitgestellt. Etwa 20 Projekte seien derzeit in der Bewertung, sagte ein Sprecher des Bauministeriums auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Über eines davon spricht das Bauministerium besonders gern: Das bundesweit erste Einfamilienhaus, das nahezu vollständig aus einem 3D-Drucker stammt. Es wird derzeit im münsterländischen Beckum gebaut und soll im Juli eingeweiht werden.

Das Projekt sei aus vielerlei Hinsicht ein Meilenstein, betont das Ministerium: Der eigens entwickelte Spritzbeton verursache 70 Prozent weniger Co2 als herkömmlicher Beton. 3D-Druck könne das Bauen deutlich beschleunigen. Obendrein werde das Berufsbild des Bauarbeiters attraktiver, „Laptop statt Maurerkelle“, schreibt die Behörde.

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Ein Schlüssel ist nicht mehr nötig: Beim Smartliving wird das Haus per App betreten.

Nicht nur auf der Baustelle werden die Tätigkeiten anspruchsvoller, auch beim Gebäudemanagement. Ab 1. August startet der erste Jahrgang in die Ausbildung zur Elektronikerin/zum Elektroniker für Gebäudesystemintegration. Lerninhalte sind unter anderem: Installation und Vernetzung smarter Gebäudetechnologie, Installation von Photovoltaik-Anlagen oder Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge. Die EBZ Business School in Bochum hat gerade erst den „Real Estate Start-up Incubator“ ins Leben gerufen. Hier sollen Gründungsideen für die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft entwickelt, einem Realitätscheck unterzogen und zur Marktreife gebracht werden.

Köln wird zum Standort für digitales Wohnen

Als Premium-Standort für die Digitalisierung im Bau- und Immobiliengewerbe scheint sich auch die Stadt Köln zu etablieren. Im Gewerbebereich hat die Firma Fond Of mit „The Ship“ eines der digitalsten Bürogebäude Deutschlands geschaffen. Weitere sind bereits in Planung.

In der Kölner Südstadt feilt Yüksel Sirmasac an der Zukunft durchdigitalisierter Wohnhäuser. Der 49 Jahre alte Betriebswirt sitzt im Konferenzraum seines Unternehmens „Rockethome“. Auf einem Regal steht der silberne Pokal, der ihn als Sieger des PropTech Germany Awards 2021 in der Kategorie „Smart Building“ ausweist. „Wir wollen das Wohnen für Mieter komfortabler machen, Energie einsparen und dem Vermieter das Verwalten des Gebäudes vereinfachen“, sagt er. Die Geschichte von Rockethome ist eine klassische Start-up-Erzählung. 2010 hat Sirmasac das Unternehmen in einem Hinterhof gegründet. Inzwischen beschäftigt er 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ist international tätig und residiert auf vier Etagen am Kartäuserwall, natürlich weitestgehend digital.

Kölner Firma Rockethome will Wohnen ressourcensparender machen

Sirmasac startet den Beamer. Die Präsentation auf der Leinwand zeigt, was Rockethome so alles kann. Herzstück der Produktpalette ist eine IOT-Plattform, ähnlich der, die die Metropol-Immobiliengruppe am Melatengürtel verwendet. Über die App kann der Nutzer die Tür öffnen, Licht ein- und ausschalten, die Heizung in einzelnen Räumen regulieren, andere Smart-Living-Geräte wie beispielsweise den Kühlschrank verbinden. Ein Multisensor in der Wohnung misst Raumklima, Luftfeuchtigkeit, Helligkeit und Bewegung und schickt die Daten aufs Handy. So kann der Nutzer sehen, wie viel Energie er verbraucht, ob er im grünen, gelben oder roten Bereich ist.

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Yüksel Sirmasac, Geschäftsführer von Rockethome GmbH, will Wohnen komfortabler machen und Ressourcen sparen.

„Wie in anderen Branchen auch gehören Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu den zentralen Themen“, sagt Sirmasac. „Früher konnten Mieter nur auf der Jahresabrechnung den Verbrauch ablesen. Jetzt sehen sie die Werte gleichsam in Echtzeit. Auf diese Weise wird der Mieter motiviert, seinen Co2 -Abdruck zu verkleinern.“

Aber auch Reparaturen sollen so zukünftig vereinfacht werden. Wenn etwa die Toilettenspülung spinnt, kann der Mieter über die App eine Meldung absetzen, ein Ticket wird eröffnet und der Handwerker automatisch informiert. Es gibt buchbare Zusatzservicepakete, etwa einen „Leckagemelder“, der beispielsweise einen Wasserschaden erkennt, bevor Teile der Wohnung unter Wasser stehen, oder ein Alarmsystem, das Nachrichten auf das Smartphone schickt.

Kommunikation mit dem Vermieter nur noch per App

Profitieren soll auch der Vermieter. Eine Verwaltungssoftware erstellt einen „digitalen Zwilling“ seines Gebäudes, der unter anderem die gesamte Technik überwacht und automatisch notwendige Wartungsarbeiten veranlasst. Überhaupt sollen IOT-Plattformen helfen, die Beziehung zwischen Mieter und Vermieter zu verbessern, sagt Sirmasac. „Jeder Anruf, jedes persönliche Gespräch bedeutet für den Vermieter Aufwand und kostet Geld. Wenn diese Kommunikation über die App gesteuert wird und bestimmte Prozesse automatisiert werden, wirkt sich das auch positiv auf das Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter aus.“

Vielleicht müssen die Parteien schon bald auch gar nicht mehr miteinander sprechen. Denn künftig sollen sogar Wohnungsbesichtigungen ohne Vermieter oder Makler möglich sein. Der Interessent bekommt einen Termin und einen Code zugeschickt, mit dem er selbstständig in die Wohnung geht und sich in Ruhe umschauen kann.

Auch Metropol-Geschäftsführer Wardemann ist begeistert von der Option. „Wenn wir ehrlich sind, muss bei einer Besichtigung niemand dabei sein, der zeigt, wo die Toilette oder die Küche sind.“ Wardemann rechnet vor: In der Old Economy dauere der Prozess von der Kündigung eines Mieters über Besichtigung bis hin zur Neuvermietung pro Wohnung etwa 20 Stunden. Diese Zeit würde nahezu entfallen.

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Smartliving auch für Senioren hilfreich

Das Kölner Start-up Ogulo geht noch einen Schritt weiter. Warum sollte man in einer digitalisierten Welt noch eine Wohnung persönlich in Augenschein nehmen, von der man nicht sicher sein kann, ob sie überhaupt infrage kommt? Die Firma hat eine Software für virtuelle Wohnungsbesichtigungen entwickelt und ermöglicht 360-Grad-Rundgänge vom heimischen Rechner aus.

Die Smartliving-Industrie will auch das Leben der Senioren vereinfachen. Schon bald gehen die geburtenstarken Jahrgänge in Rente. In Heime wollen aber längst nicht alle und seniorengerechte Wohnungen gibt es ohnehin viel zu wenige. „Digitale Wohnbegleiter“ sollen helfen, auch normale Wohnungen für ältere Menschen sicherer zu machen. Multisensoren können Stürze, Abweichungen von üblichen Bewegungsmustern oder untypische Inaktivität registrieren und schicken dann eine Nachricht an zuvor ausgewählte Verwandte, Freunde oder den Pflegedienst. „Diese Anwendungen können helfen, dass Menschen im Alter nicht umziehen müssen, sondern in ihrem gewohnten Umfeld bleiben können“, sagt Sirmasac. Bislang würden solche Lösungen aus Kostengründen hauptsächlich von großen Immobilienfirmen gekauft oder in Neubauten angeboten. „Es ist wichtig, dass wir smarte Technologien auch in den Bestand bringen“, sagt Sirmasac. „Daran arbeiten wir.“

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