Oebel-Insolvenzverwalter über seine ArbeitWie rettet man eigentlich ein Unternehmen?

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Insolvenz Symbolbild

Viele Experten erwarten im Jahr 2021 deutlich mehr Unternehmenspleiten als in anderen Jahren.

  • Dirk Wegener arbeitet seit 15 Jahren als Insolvenzverwalter. 2019 hat er die Insolvenz der Bäckereikette Oebel begleitet. 80 von 150 Filialen konnte er damals retten.
  • Im Interview spricht er darüber, welche Hebel er in Bewegung setzte, um das Oebel-Vermögen zu retten, welche Hürden es bei Insolvenzen gibt und wie sich die Pleite eines prominenten Unternehmens von der eines unbekannten Mittelständlers unterscheidet.

Herr Wegener, wenn Sie als Insolvenzverwalter in ein Unternehmen kommen, brennt dort immer die Hütte. Wie fühlen Sie sich als Feuerwehrmann? Dirk Wegener: Ich bin gerne Feuerwehrmann. Ich fühle mich am wohlsten, wenn viele Brände gleichzeitig gelöscht werden. Aber dafür muss man gemacht sein, der Beruf ist nicht für jeden geeignet.

Was gefällt Ihnen so gut?

Es ist ein schönes Gefühl, wenn ich merke, dass ich trotz einer schwierigen Lage etwas bewegen und Lösungen für ein insolventes Unternehmen finden und damit auch Arbeitsplätze retten kann. Viele Geschäftsführer sind sehr angespannt, wenn sie das erste Mal mit mir reden, vielleicht, weil sie nichts Gutes von der Zusammenarbeit mit einem Insolvenzverwalter gehört haben. Nach dem Gespräch sind sie oft viel entspannter. Ich nehme ihnen die Last von den Schultern, weil ich in dieser Zeit die kaufmännischen Entscheidungen treffe.

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Womit beginnt Ihre Arbeit, wenn Sie zum Insolvenzverwalter eines Unternehmens ernannt werden?

Vor allem mit ganz viel Reden. Ein Insolvenzverwalter ist Moderator, Mediator und Kommunikator. Es geht darum, Vertrauen zu schaffen und alle Beteiligten mitzunehmen. Auf der Unternehmensseite sind das die Geschäftsführer und die Mitarbeiter, ohne die gar nichts geht. Auf der anderen Seite geht es um Vertragspartner, Kunden, Leasinggeber. Gerade bei ihnen sind die Gemüter oft sehr erhitzt.

Zur Person

Dirk Wegener ist Rechtsanwalt und Partner der  Wirtschaftskanzlei DHPG und seit 15 Jahren als Insolvenzverwalter und Sanierungsberater tätig.  Im Oktober 2019 wurde er zum Insolvenzverwalter der Aachener Bäckereikette Oebel bestellt. Wegener hat in Trier Rechtswissenschaften studiert und an der Universität Köln promoviert. (hge)

Dr. Dirk Wegener

Dirk Wegener

Eine Insolvenz hat ja immer eine Vorgeschichte, die kommt nicht von Heute auf Morgen. Vorher gab es schon Wochen und Monate der Frustration mit vielen gebrochenen Versprechen. Wenn Lieferanten schon lange hingehalten wurden, haben sie zum Beispiel oft eine Abwehrhaltung, wollen eine Rettung gar nicht mehr mittragen, in Einzelfällen dem insolventen Unternehmen sogar eher schaden.

Was ist eigentlich Ihre Aufgabe als Insolvenzverwalter?

Paragraf 1 der Insolvenzverordnung legt meine Aufgabe klar fest: Der Zweck des Insolvenzverfahrens ist die gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung. Ich muss also das Unternehmensvermögen verwerten und aus dem Erlös die Gläubiger bedienen. Dieser Aufgabe muss ich alles unterordnen.

Gibt es dafür die eine Ideallösung?

Nein, ein Unternehmensvermögen lässt sich sehr unterschiedlich verwerten. In manchen Fällen ist die beste Alternative, eine Firma zu schließen und die Ausstattung zu verkaufen, in anderen Fällen ist es besser, ein Unternehmen zu erhalten und die Gläubiger aus künftigen Einnahmen zu befriedigen. In der Regel bringt das mehr Geld als das Unternehmen zu schließen.

Welche untergeordneten Ziele verfolgen Sie noch als Insolvenzverwalter?

Natürlich schauen wir immer, dass wir die Arbeitsplätze erhalten. Die soziale Verantwortung, die ich bei meiner Arbeit habe, ist eine Triebfeder – bei mir sogar eine sehr persönliche. Ich kann sie aber aus der Aufgabe des Verwalters heraus niemals den Gläubigerinteressen vorziehen. Am Ende entscheidet die Gläubigerversammlung über die Strategie.

Welche Macht haben Geschäftsführer eigentlich noch im Insolvenzverfahren?

Die Führung der Geschäfte geht auf den Verwalter über. Die bisherigen Geschäftsführer dürfen dann zum Beispiel weder Bestellungen aufgeben noch Kündigungen aussprechen.

Wie schnell wissen Sie, ob Sie ein zahlungsunfähiges oder überschuldetes Unternehmen retten können?

Schon am ersten Tag bekommt man meist ein Gefühl. Besonders schwierig ist es, wenn schon länger keine Löhne mehr gezahlt wurden und kein Geld da ist, um Waren vorzufinanzieren. Bei Oebel habe ich gedacht, dass nichts mehr klappen wird. Aber dann wurde es ja doch noch ganz gut.

Sie haben 80 von etwa 150 Bäckerei-Filialen an neue Eigentümer vermittelt und konnten damit Hunderte Arbeitsplätze retten.

Unter den Bedingungen, die ich bei Oebel vorgefunden habe, bin ich mit dem Ergebnis zufrieden. Das Unternehmen hatte ein großes Filialnetz, das nur kostengünstig beliefert werden konnte, solange die Großbäckerei Kronenbrot noch die Muttergesellschaft war. Kronenbrot hat viele Supermärkte beliefert und konnte Backwaren quasi nebenbei bei Oebel-Filialen abladen, auch wenn diese weit von der Aachener Zentrale entfernt waren. Oebel hat dafür einen kleinen Pauschalbetrag gezahlt. Als Oebel vor einigen Jahren selbstständig wurde, gab es diesen Effekt nicht mehr. Die Lieferkosten stiegen stark an, trotzdem änderten die Geschäftsführer nichts, obwohl sie das Problem kannten. Das ist neben einem über Jahre unveränderten und irgendwann nicht mehr zeitgemäßen Produktangebot eine der Ursachen, die zur Insolvenz geführt haben.

Was war das größte Problem bei der Rettung?

Die Ausstattung der Filialen waren gar nicht im Eigentum von Oebel. Dafür hatten die Inhaber eine andere Gesellschaft, und damit haben sie ihr eigenes Spiel getrieben. Für die Ausstattung haben sie viel zu hohe, unrealistische Preise aufgerufen. Versuchen Sie mal, eine Bäckerei-Filiale ohne Backofen an neue Betreiber zu vermitteln.

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Die Übernahme ist dann in vielen Fällen nur deshalb geglückt, weil neue Filialbetreiber zunächst Mietverträge und Angestellte übernommen und dann darauf gesetzt haben, dass es für die Eigentümer teurer wird, die alten Öfen aus den Niederlassungen zu holen als sie doch zu einem angemessenen Preis zu verkaufen.

Unterscheidet sich die Insolvenz eines prominenten Unternehmens von der einer unbekannten Firma?

Natürlich ist bei prominenten Fällen wie Oebel viel mehr Aufmerksamkeit da. Es verging kein Tag, an dem nichts in der Presse stand. Ein Mitarbeiter kann durch ein Gerücht einen Betrieb, den man eigentlich retten könnte, zum Kippen bringen. Natürlich stand auch sofort die Konkurrenz vor der Tür und wollte die Angestellten übernehmen. Da hatte ich die Sorge, dass der ganze Betrieb zusammenbricht. Wenn ein weniger bekanntes Unternehmen insolvent ist, passiert so etwas eher nicht.

Machen kleine Fälle genauso viel Spaß wie die großen?

Ich habe viele in guter Erinnerung. Einen kleinen Blumenladen in Köln-Poll zum Beispiel. Er hatte hohe Rückstände bei der Krankenkasse, die dann einen Insolvenzantrag gestellt hat. Ich habe dem Inhaber gezeigt, wie er den Laden mit einem eigenen Insolvenzantrag weiterführen und entschulden kann. Da konnte ich einem verzweifelten Menschen eine neue Perspektive geben. Das macht mich glücklich. Viele Leute denken leider, eine Insolvenz heißt immer, der Laden wird dicht gemacht. Das ist falsch, viele können gerettet werden.

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