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Flammende ErbitterungWarum „Miranda“ an der Kölner Oper überzeugt

Lesezeit 4 Minuten
Miranda_Oper Köln

Adriana Bastidas-Gamboa in der Titelpartie

Köln – Im Filmmetier spräche man wohl von einem Sequel: Das Personal einer erfolgreichen Produktion taucht mit neuer Handlung in einer Fortsetzung auf. Solch ein Sequel also ist „Miranda“, ein mit Musik zumeist von Henry Purcell ausgestattetes Opern-Pasticcio, das Shakespeares Spätwerk „The Tempest“ fortschreibt (zu dem der englische Barockmeister seinerseits eine Bühnenmusik verfasste).

Das Werk nach dem Libretto von Cordelia Lynn, das bereits erfolgreich an der Pariser Opéra Comique, am Théatre de Caen und an der Oper von Bordeaux gezeigt wurde, hatte soeben seine deutsche Erstaufführung an der Kölner Oper, im Saal 2 des Staatenhauses.

Typische Shakespeare-Dramaturgie

Die Idee des Ganzen: Im „Sturm“ hat Prosperos Tochter Miranda eine untergeordnete Rolle – sie soll halt Ferdinand heiraten –, die nach Lynns Intention eine drastische Aufwertung erheischt. Die wird ihr im Sequel zuteil, das nach Prosperos prospektiver Rückkehr von der „Sturm“-Insel ins Herzogtum Mailand spielt, hier aber in eine Gegenwartskirche an der Küste der Grafschaft Suffolk verlegt ist.

Alles zum Thema Musik

Die Hauptaktion wird eingebettet in einen Rahmen – wie überhaupt die Staffelung der Handlungsebenen mit Theater im Theater im Theater zu den Konstruktionsmerkmalen von „Miranda“ gehört. Damit wird eine typische Shakespeare-Dramaturgie aufgegriffen, aber auch eine Usance der „Masque“, der englischen Semi-Opera der Barockzeit.

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Zu den Klängen der Ouvertüre also proben Schauspieler in besagter Kirche eine solche Masque, wobei die Regisseurin die traumatisierende Erinnerung an kindheitliche Qualen, an Missbrauch und Manipulation überkommt. Ganz klar wird die Verbindung von Rahmen- und Haupthandlung nicht; weil die Regisseurin und Miranda von derselben Darstellerin interpretiert werden, darf man sich diese vielleicht als Kopf-Kino der Regisseurin vorstellen.

Tiefliegende Konflikte werden deutlich

Das Stück in fünf Szenen beinhaltet auf Anhieb nicht mehr als den Trauergottesdienst für die im Selbstmord geendigte Miranda, an dem als Protagonisten Prospero, seine junge schwangere Ehefrau Anna, Mirandas Witwer Ferdinand und ihr Sohn Anthony (wer ist eigentlich der Vater?) teilnehmen.

Mit Sarg, Priester, Erinnerungsporträt, schwarzen Gewandungen, Blumen, Kerzen und einem Chor, der Trauermusik von Purcell singt, sind die Bestandteile einer würdigen Veranstaltung beieinander. Indes werden rasch tiefliegende Konflikte deutlich, und dies erst recht, als eine verschleierte „Braut“ erscheint.

Die Rechnung ihres zerstörten Lebens

Die ist niemand anderes als Miranda, die eben doch keinen Suizid begangen hat, sondern auf ihrer eigenen Beerdigung auftaucht, um den Ihrigen die Rechnung ihres zerstörten Lebens zu präsentieren: mit der (in stummer Pantomime dargestellten) Vergewaltigung durch den Vater und die anschließende „Entsorgung“ als „Kindsbraut“ an Ferdinand.

Klar, dass da die Trauermesse atmosphärisch katastrophal entgleist und sich ob des tyrannischen Patriarchen Prospero Assoziationen an Thomas Vinterbergs „Fest“-Film einstellen. Genauso „entgleisen“ Shakespeares Komödienmotive – darin mag man eine genre- wie gender-kritische Intention sehen – in Richtung Tragödie.

Genau ausgeprägte Figurenführung

Was immer man von diesem Plot im einzelnen halten mag: Der Regisseurin Katie Mitchell ist es auf Chloe Lamfords als kahle Betonkirche eingerichteter Bühne gelungen, mit penibler, die einzelnen Charaktere und ihre psychisch gesteuerten Regungen genau ausprägender Figurenführung eine dichte, den Zuschauer in Bann ziehende Dramenhandlung hinzustellen.

Genauso überzeugt das Neu-Arrangement der Purcell-Stücke unterschiedlicher Provenienz durch den Dirigenten Raphaël Pichon und den Lautenisten Miguel Henry, wenngleich die Musik nicht immer ganz zum Text passt. Dass die Form der Passacaglia (Variationen über einem jeweils identischen Bass) stark dominiert, macht weiter nichts – Mitchell versteht es, diese musikalische Statik szenisch aufzulösen.

Stückbrief

Musikalische Leitung: George Petrou Inszenierung: Katie Mitchell Bühne: Chloe Lamford Darsteller: Adriana Bastidas-Gamboa, Alastair Miles, Emily Hindrichs, Ed Lyon, John Heuzenroeder, Jakob Geppert, Maria Koroleva, Michael Terada Dauer: 1 Stunde, 40 Minuten, keine Pause Weitere Aufführungen: 5., 7., 13., 20., 22. Oktober (MaS)

Allemal wird deutlich, dass Purcell kein Händel zweiter Klasse war, sondern ein wildes, über die Stränge des Schicklichen schlagendes Originalgenie. Das Gürzenich-Orchester unter dem Barockexperten George Petrou macht es, in Artikulation und Phrasierung auf alte Aufführungspraxis getrimmt, farbenreich und effektvoll deutlich.

Die Sängerleistungen erfreuen

Die Sängerleistungen erfreuen allesamt: Alastair Miles als herrisch-aufbrausender Prospero, Emily Hindrichs mit rührend resignativen Einlassungen als Anna, Ed Lyon, der als Ferdinand alle Tugenden eines schlanken Barocktenors einbringt, John Heuzenroeder als beflissen-ohnmächtiger Priester, Jakob Geppert von der Chorakademie Dortmund als traumatisierter Anthony. Der Chor sorgt für einen angemessen sakralen Trauerton.

Die Solisten werden indes getoppt durch Adriana Bastidas-Gamboa in der Titelpartie: So viel flammende Erbitterung in der sonoren Altlage und furienhafte Verzweiflung in der Höhe – da ist eine Intensität, eine Glut und Attacke in der Darstellung am Werk, die das am Ende dankbar applaudierende Premierenpublikum unmittelbar anspringen musste. Da macht es auch nichts, dass die gefeierte Carmen stilistisch über das Barockgenre durchaus hinauslangte.

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